Ganz normales Teen-Idol: die intimen, verstörenden Lieder von Hayden
Die Dinge überschlagen sich derzeit im Leben von Hayden Desser. „Tausend Entscheidungen“ seien täglich zu fällen, scherzt der 25jährige Songwriter aus Thornhill/Toronto, der erst kürzlich aus jenem Haus auszog, das auf dem Cover seines ersten Albums „Everything I Lang For“ im Hintergrund zu erahnen ist. Es gehört seinen Eltern: Hier nahm er bisher fest alle Songs auf, hier saß er in einem Kokon aus Wohlwollen, der ihm nicht nur die Sorge um die Miete nahm. „So konnte ich Entscheidungen treffen, die nicht das verraten haben, woran ich glaube. Und dafür bin ich dankbar.“ Jetzt hat Desser, Vorais auch Künstler-Name: Hayden, sein erstes eigenes Domizil. Aber wenig Zeit, um dort heimisch zu werden: Die Erinnerung an die ersten Europa-Shows ist noch frisch, da steht der Koffer schon wieder gepackt an der Tür – noch drei Tage bis zur ersten, gleich zweimonatigen Amerika-Tournee. Das sind große Schritte für einen, der bisher in drei Jahren eher „in kleinen Schritten“ den Sprung schaffte – vom stillen Kommunikator, der sich nicht traute, seine eigenen Songs zu singen (und deshalb zunächst Freunde dafür anheuerte) zum „unlikely teen idol“ (so die Lokalpresse). Hayden is big in und um Toronto herum, aber „kein Star in ganz Kanada“, wie er sich zu versichern beeilt.
Das Bedürfnis, Geschichten mit anderen zu teilen, verspürt er schon, „solange meine Erinnerung zurückreicht. Ich war verrückt nach diesen ganzen Familiengeschichten.“ Nach einem Versuch, am College im Komplex Film/Fernsehen „Karriere“ zu machen, kehrte Desser wieder zur Musik zurück, weil „die mir viel mehr gibt“. Dafür kann er jetzt auch noch Regie bei seinen Videos führen – auch aus gesundem Mißtrauen heraus: „Meist heuern die Firmen für junge Bands einen gerade ‚hippen‘ Regisseur an, der sagt: ‚Hey Jungs, färbt Eure Haare blau und springt da hinten vom Berg runter!‘ Und die Jungs machen’s, weil sie denken, der Mann wüßte, was er tut und außerdem hat er ja auch das letzte Green Day-Video gemacht. Und im Video erkennen sie sich kaum noch wieder.“
Hayden ist ein höflicher Mensch. Nichts läge ihm ferner, als Kollegen niederzumachen oder sich arrogant in Pose zu werfen. Gibt es das? Ganz „normale“ Teen-Idole? Steht Desser gar für die sogenannte „neue Normalität“? Kaum. Dafür sind seine Songs einfach zu verbindlich, zu irritierend, zu verstörend intim – zu gut. „Manche Leute denken, ich sei depressiv. Aber diese Songs sind nur Momentaufnahmen. Ich bin kein Loner, der den ganzen Tag zu Hause rumweint. Vielleicht schreibe ich beim nächsten Mal nur fröhliche Love-Songs.“ Nur der „Regenwald und ähnlich große Themen“ stehen bei ihm auf dem Index. Dann lieber die kleine Katastrophe um die Ecke. „Da bin ich Experte. Außerdem hab ich die Dinge immer so genommen, wie sie kamen.“ Nicht die schlechteste Strategie, wenn sich die Dinge überschlagen.