Jon Spencer, Leiter von The Blues Explosion, und Cristina Martinez verhandeln bei Boss Hog ihre Streitigkeiten
Iuf Platten-Covern wie auch im Rampenlicht sieht die Welt immer farbiger aus, doch die Realität ist blaß. So blaß wie das Gesicht von Jon Spencer. Auf der Bühne ist er eine manische Erscheinung, ständig unter Strom und – so erzählen es jedenfalls die Frauen – bis in die Koteletten sexuell geladen; als Gegenüber im Interview allerdings rutscht er vor Müdigkeit gerade unter den Restaurant-Tisch. Bei setner Lebensgefährtin Cristina Martinez verhält es sich ähnlich. Fürs Platten-Cover posierte sie einst als Pin-Up-Girl, und auf der Bühne steht sie auch schon mal spitternackt. Doch von dem Vamp, der Journalisten am liebsten als Hack zwischen zwei Brötchenhälften mag, kann nicht die Rede sein. Freundlich beantwortet sie kurz vor Konzertbeginn noch die abseitigsten Fragen. Nur zwei Themen lassen die schönen Augen der Boss Hog-Sängerin böse blitzen: Dieser Motherfucker, der heute in einer örtlichen Tageszeitung nur über ihren Körper geschrieben hat und sie talentlos geschimpft hat, den solle ich ihr beim Auftritt mal zeigen, dem würde sie gern mal richtig in den Arsch treten. Ihr zweites Ärgernis: die Band von Jon, The Blues Explosion. Dürfen wir trotzdem drüber sprechen? Sie: „Nein.“ Er: „Natürlich darfst Du fragen, was du willst.“ Sie: „Nein! Nein! Nein! Alle wollen über die Blues Explosion reden, aber wir sind nun mal wegen Boss Hog hier.“ Er: rutscht noch ein Stück weiter unter den Tisch. Cristinas Wunsch sei respektiert. Andererseits: Boss Hog würde es ohne die „Blues Explosion“ wahrscheinlich nicht geben; die beiden Projekte sind untrennbar miteinander verbunden. Denn hätte Spencer nicht seine One-Man-Show, bei der alles nach seiner Nase tanzt, könnte er sich kaum in das Mit- und Gegeneinander bei Boss Hog einordnen. Während sich Bassist und Schlagzeuger bei der „Blues Explosion“ an den Rhythmus halten, den der Berserker plötzlichen Eingebungen folgend vorgibt, steht er bei der Arbeit mit Cristina quasi in ständiger Verhandlung. Mag es auch noch so banal und klischeebeladen klingen: Ohne diese konstante Reibung würden die Songs von Boss Hog eben nicht funktionieren. Ein Gespräch übrigens ebenfalls nicht: Ist es immer klar, wer bei welchen Liedern singt? Er:, Ja, ganz klar.“ Sie: „Stimmt nicht.“ Er: „Nein?“ Sie: J^fein, ich darf doch schließlich aussuchen, ob ich etwas singen will oder nicht.“ Er, noch ein Stück weiter unter den Tisch rutschend: „Ach ja.“ Die Rollenverteilung bei Boss Hog ist nicht immer ganz so deutlich. Auf ihrem neuen Album, dem ersten für ein großes Label, betreiben Martinez und Spencer zwar bei dem Duett „I Dig You“ nach dem Answer-Response-Verfahren verbales Petting, und im Ike-Turner-Cover „I Idolize You“ croont er wie Prince auf Crack, während Christina mit Schlagzeugerin Hollis Queens den Background-Chor singt, doch das sind Spielchen, keine verläßlichen Zeichen. Von denen gibt es bei Boss Hog eh herzlich wenig. „Wir versuchen ganz bewußt, unsere Stimmen unterschiedlich zu intonieren, unterschiedlich einzusetzen“, erklärt Martinez. „So kann man nicht immer eindeutig hören, wer gerade singt.“ Cristina und Jon liegen zwar im Dauer-Qinch, trotzdem bildet die Gruppe längst eine Konstante in ihrem Leben. Nur um sie herum war immer alles in Bewegung – bis vor kurzem zumindest. Ende der 80er Jahre wurden Boss Hog als locker zusammengewürfeltes All-Star-Projekt der New Yorker Noise-Szene ins Leben gerufen, inzwischen aber ist die Band-Struktur wohlgeordnet. Queens und Bassist Jens Jurgensen sind seit einiger Zeit feste Mitglieder. Das kommt der Dynamik zugute. Vor einigen Jahren spielten Boss Hog den Blues noch nah am Atonalen, sie trieben den klassischen Song an den Rand seiner Auflösung. Heute werden noch die disparatesten Elemente zur abgerundeten Komposition zusammengefügt. Sha-la-la-Chöre und Grunzlaute, Hardrock-Riffs und KirmesOrgel – wenige Sounds scheinen für das Quartett tabu. Steve Fisk, Studio-Tüftler mit Sinn fürs Sonderbare, trägt seinen Teil dazu bei, daß Eruption und Eleganz einander nicht im Wege stehen. Und mit „Texas“ traut man sich inzwischen sogar bis in kammermusikalische Gefilde. Auch die Gestaltung der Platten-Cover hat sich radikal geändert. Auf dem neuen Album ist Cristina als Tintenzeichnung mit Regenschirm und einem langen Kleid zu sehen; von nackter Haut kann überhaupt keine Rede sein. Bewußte Abkehr von einem mißverständlichen Image? Sie: „Nein, wir wollten nicht unbedingt das Image, das mit Nacktheit verbunden ist, loswerden. Das neue Cover sollte viel mehr den düsteren Humor der Texte reflektieren.“ Er: „So ein Blödsinn. Natürlich war es eine bewußte Entscheidung.“ Sie: „Aber nicht gegen die Nacktheit, nun hör doch endlich einmal richtig zu!“ Spencer verschwindet endgültig irgendwo unter dem Tisch. J3