Meet The Beatles! Beatlemania im Sanatorium: Die Fab Four treten ihr eigenes Erbe an

ACH JA: WEIHNACHTEN KOMMT.

Süßer die Glocken nie klingeln und die Kassen-Computerscanner nicht piepsen, in den Regalen harten 1017 rechtzeitig fertiggestellte „Best Of“-Zusammenstellungen und ebenso viele wohlfeine Box-Sets; Freddy Mercurys Nachlaß darfauch nicht fehlen und wird zum vierten Mal unter den Christbaum gezerrt Oder schon zum fünften Mal? Egal.

In diesem Jahr aber ist alles anders: The boys are back in town und zwitschern mit „Free As A Bird ihren ersten „gemeinsamen“ Song seit 345 Jahren. Wetten, daß selbst Michael Jackson gegen die Heiligen Drei Könige Paul, George und Ringo den kürzeren zieht?

Denn die gerade erschienene Single (aufgenommen mit Hilfe eines Lennon-Demo-Tapes, das Ybko Ono McCartney zur Verfügung gestellt hat, nachdem der ihr vor ein paar Jahren am Telefon mal so nett ein Schönes Neues Jahr gewünscht hatte) ist nur der dreiminütige Paukenschlag zu einer Beatles-Offensive, gegen die sich selbst die byzantinischen Dimensionen von Michael Jacksons „A HIStory“-Kampagne zwergenhaft ausnehmen. Der Single folgt eine zweite („Real Love“, im Februar) sowie drei mal zwei ^4nthology“-CDs mit insgesamt 125 Titeln, und anschließend ein multimedialer Rattenschwanz mit acht 75minütigen Videos, diversen Boxsets, prächtigen Bildbänden, Internet-Diskussionsforen und einer Sportswear-Collection, und wenn das Zeugs etwas früher auf dem Markt gewesen wäre, hätte man den Friedensengel oben auf der Baumspitze locker auch „Free As A Bird“ singen lassen können.

Natürlich ist das ganze auch so ein Thema, und zwar endlich mal wieder eines, wo jedermann mitreden kann, nicht so wie neulich bei diesen „Blur vs. Oasis“-Proseminaren – diesmal kann jeder mitreden. Selbst der „Spiegel“ darf zeigen, daß er McCartneys Spitznamen kennt. „Focus“ (hat Markwort die Story eigentlich in seinen Konferenz-TV-Spots erwähnt?) übersetzt „Newsweek“, die „Bild“ erinnert sich an Ex-Drummer Peter Best und verspricht ihm Millionen (Zitat: „All you need is money!“), weil er auf zehn der 125 ^Anthology“-Songs mittrommelt (was glauben diese Menschen eigentlich, was man als Schlagzeuger so verdient?), und da man gerade so trefflich superlativierte, verdoppelt die „Bunte“ auch gleich mal die Anzahl der zu erwarteten CDs von sechs auf zwölf und läßt Fritz Egner, bekanntlich ja der Nestor der bundesdeutschen Beatles-Kenner, erzählen: Wie knapp das seinerzeit war, als er für seine Freundin ein Beatles-Plakat klauen wollte.

Bei so viel Vorfeld-Euphorie wird der eine oder andere Käufer nach dem Wegreißen des Zellophans dann eher ein bißchen enttäuscht sein: Ankündigungen wie die des Beatles-Experten Mark Hertsgaard, man solle gerade vom ersten Box-Set nicht zuviel erwarten, sind im glückseligen Taumel über die 125 ins Haus stehenden Tracks widerstandslos untergegangen – genau wie die Tatsache, daß in diesem ganzen Wust nur gerade einmal sechs Lennon/McCartney-Titel sind, die als „previously unreleased“ jetzt erstmals erscheinen und von denen Hertsgaard sagt, ihre Erschaffer hätten schon gewußt, warum sie die damals nicht veröffentlich hätten.

Die „Anthology“ ist übrigens auch wie eine aufgebaut: schön in der Reihenfolge nämlich, das Material aus der Prä-Ringo-Zeit zuerst, die ausgefeilten Sound-Collagen der Endphase zuletzt Und selbst wenn sich dem ein oder anderen die Frage stellen mag, wer um alles in der Welt sieben Versionen von „Strawberry Fields“ braucht, wenn man schon von der einen bislang bekannten gesagt hat, mit ihr sei alles gesagt zu verfolgen, wie sich ein Song wie „A Day In The Life“ vom ersten Durchlauf bis zur endgültigen Version entwickelt: Das hat schon was. Und dann ist da noch das Gegenstück auf Zelluloid: Über die Feiertage (am 22., 25. und 28. Dezember) beschert uns das ZDF mit einer dreiteiligen Filmdokumentation das wahrscheinlich einzige Produkt der Linie „Anthology“, das die hohen Erwartungen voll und ganz erfüllen wird (wobei bislang noch niemand weiß, wie flauschig die zu erwartenden Sweatshirts sein werden).

In jahrelanger Fitzelarbeit von Apple Corps, gesichtet, gesammelt und gedreht und von Peter Arens aus der Kulturredaktion des Mainzer Senders ediert, gehören die drei mal neunzig Minuten Beatles-TV zum feinsten, was jemals unter der Rubrik Musik-Dokumentation über die deutschen Mattscheiben flimmerte. Keine Effekthascherei, keine Cyberspace-Simulationen, keine gehetzte 18-Frame-Hackerei à la MTV, sondern absolut souveräner Zelluloid-Umgang: Da sich die Fab Three und Yoko niemals auf einen Sprechertext hätten einigen können, sagt Yoko jetzt gar nichts und läßt Ringo, Paul und George die Geschichte selbst erzählen – in einer Collage aus O-Tönen, Konzertmitschnitten, auf Super 8 gedrehten Urlaubsfilmchen und genauen Überblendungen mitten im Rickenbacker-Riff, über dem Lennons unverkennbares „Glaubt mir doch“-Timbre schwebt. Obwohl oder gerade weil die Beatles und Yoko jede Einstellung abgenommen haben, macht der Film vor allem eins: Er holt die vier aus Liverpool aus den Halbgötter-Sphären endgültig auf den Boden der Tatsachen zurück.

In einer Sequenz kurz vor dem weltersten Rock-Konzert in einer Sport-Arena schwenkt die Kamera minutenlang über das Kreisch-Kollektiv im New Yorker „Shea Stadium“. Die Bilder sind auf dumpf pulsierende Herzschlag-Frequenzen geschnitten, die schneller werden, je näher der Auftritt rückt. Als die vier dann über den Rasen zur Bühne laufen, merkt man ihnen an, daß sie das da gerade selbst nicht fassen können. „They used us as an excuse to go mad“, philosophiert George Harrison dazu, „die world did and blamed it on us.“

13 Millionen hat der britische Sender ITV für die Film-„Anthology“ auf den Tisch legen müssen; das ZDF, das schon vor Jahren bei Apple angefragt hatte und am Ende den Zuschlag wohl auch bekam, weil Paul, George und Ringo die Dokumentation ohne Werbe-Unterbrechung und Sponsoren präsentiert sehen wollten, „nur einen Bruchteil dessen“ (Arens).

Für das Gesamtkonzept „Anthology“ sind beides vernachlässigbare Größen: Im Beatles-Camp rechnet man mit einem Gewinn von 250 Millionen Dollar – mehr, als die Band während ihrer aktiven Zeit verdient hat. Weitere 100 Millionen hat man ihnen für zehn Konzerte geboten – viel Geld, aber am Ende dann wohl doch nicht genug: Momentan sieht es nicht danach aus, als würde es eine Dreiviertel-Reunion geben, von der jeder auch nur halbwegs vernünftige Mensch weiß, das sie das Ende eines Mythos bedeuten würde.

Wie es weitergehen wird? Kann sein, daß jemand die Aufräumarbeiten im Abbey-Road-Archiv nach und nach weiterfuhrt und die restlichen 394 Stunden Material nach und nach veröffentlicht. Kann aber auch sein, daß jetzt alles gesagt ist Oder man zumindest denkt, es sei alles gesagt Am Ende des Films sitzen sie dann für eine kurze Sequenz an einem Tisch: Ringo, Paul und George, nach all den Jahren alt und ergraut – come together, right now. Und was machen sie? Reden über den Baß-Verstärker von Elvis, damals, als sie ihn in Los Angeles besuchten und er im Wohnzimmer auf der Couch saß und spielte. Tun so, als sei das gerade erst gestern gewesen und als gebe es nichts Wichtigeres in der Welt als diesen blöden Baß-Verstärker. Vox oder Fender? 60 oder 100 Watt?

Zu diesem Thema wäre Yoko Ono bestimmt auch noch ein bißchen was eingefallen.

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