Ein Raketenstart in Zeitlupe: der wundersame Erfolg von Collective Soul
Auf der roten Stirn, über den zusammengekniffenen Augen, sammeln sich bereits Schweißtropfen: Ed Roland will raus aus dieser Hitze. 43 Grad im wüstenumzingelten Albuquerque, die Air Condition im Band-Bus am Arsch, der Hausmeister im Alk-Koma oder im Puff oder sonstwo, jedenfalls nicht da, wo er jetzt sein sollte: Hier, vor dem „EI Rey“, einem Schuppen mit wegbröckelnder Santa-Fe-Style-Fassade, in dem Collective Soul am Abend spielen sollen. Bis auf einen abgemagerten Köter, der auf dem flirrenden Parkplatz-Asphalt herumstolpert, ist weit und breit kein Lebewesen auszumachen. Ed zischt, daß er jetzt endlich aus dieser Hitze raus wolle, und am besten auch noch gleich aus diesem gottverlassenen Kaff. Der Manager singt leise den Refrain von „Shine“: „Oohohoo heaven let your light shine down on me.“ Eds Stirn wird noch eine Spur roter, und der Manager augenblicklich still: „Okay, reg Dich ab, ist ja schon gut.“ Einem Arbeitgeber, der fast im Alleingang zwei Alben mit traumhaften Hooks und Harmonien geschrieben hat, verzeiht man einiges. Wie zum Beispiel genervte Ausbrüche auf nervende Fragen: Nein, sie hätten keinen christlichen Hintergrund, bloß weil sie öfter das Wort „Heaven“ verwendeten und sein Vater Prediger gewesen sei, hat Son-of-a-preacherman Ed dem Talkmaster David Letterman in dessen „Late Night Show“ angepfiffen. Sie seien auch keine Pop-Rock-Band mit Grunge-Attitüde, sondern Musiker. Und Lynyrd Skynyrd kämen zwar in der Tat auch aus den Südstaaten und hätten in der Tat auch drei Gitarristen – das wär’s dann aber schon mit den Gemeinsamkeiten. Noch was? Ja, sagt Ed, Collective Soul werden noch im Jahre 2010 Hit-Alben machen. „Schreib das auf!“ befiehlt er. Dabei wäre es beinahe noch nicht mal zu den ersten beiden gekommen. Gewissermaßen als allerletzten Versuch war Ed nach fünf erfolglosen Band-Jahren mit dem Demo-Sampler „Hints, Allegations And Things Left Unsaid“ im heimischen Atlanta hausieren gegangen. Dann entdeckte irgendein Radio-DJ die Mitsing-Qualitäten von „Shine“ und spielte die Single rauf und runter. „Das war’s“, sagt Ed. Das war’s? Und dann? „Woodstock, acht Wochen Nummer eins, der Deal mit Atlantic, auf Tour mit Aerosmith, das neue und erste „richtige“ Album ,Collective Soul‘.“ Ob er sich überfordert fühle? Nein, sagt Ed, er habe sich das verdient. „Die Band“, korrigiert er. Zwei Stunden später ist der Hausmeister bereits wieder weg und Ed auf der Bühne. „Aus aktuellem Anlaß“ hängt er „Where The River Flows“, „She Gathers Rain“ und „When The Water Falls“ aneinander – „harmonieschwangerer, grungiger Pop-Rock mit Doppel-Lead-Gitarre wie bei Lynyrd Skynyrd“, wie der „Albuquerque Examiner“ am nächsten Morgen feststellen wird. Ed und die anderen vier absolvieren die Show beinahe regungslos: einen Schritt vor, einen zurück, alles in schläfriger Slow-Mo. Bloß bei „Light“, wenn sie vor der Bühne alle den Refrain singen, werfen Collective Soul kollektiv die Köpfe in den Nacken. Als ob da wirklich etwas von oben ein Licht auf sie werfen würde. Sind aber nur die Scheinwerfer. Stefan Nink