Nach der Existenz-Krise: Alannah Myles präsentiert sich nun verträumt-verklemmt
Alannah Myles macht den Eindruck, als habe sie in ihrem Leben grundsätzlich den beschwerlichen Weg gewählt. In ihren Bewegungen ist kein Zögern, sie wirkt fast immer angespannt und hält ein Gespräch schnell für eine Grundsatzdiskussion. Als Tochter eines Radio- und Werbefachmanns hätte sie daheim in Kanada wahrscheinlich ein sicheres Leben fuhren können. Aber Alannah Myles träumte davon, mit ihrer voluminösen Stimme Geld zu verdienen. Und nachdem sie jahraus, jahrein in Clubs und Kaffeehäusern gespielt hatte, passierte das Schlimmste: Der Traum ging in Erfüllung. Myles‘ Debüt-Album „Black Velvet“ wurde zu einem Welterfolg, danach kam die große Krise. Auch wenn Myles es sorgfältig zu verbergen versucht, ist sie eher 40 als 30 Jahre alt. Brav erfüllt sie die Kieiderordnung der „Rocklady“: enge Hosen, lange Haare, zarte, durchsichtige weiße Bluse. „Ich bin stark, ich bin feminin“, sagt Alannah Myles, und so soll wohl auch das Foto im CD-Booklet ihrer neuen Platte ^lilannah“ wirken. Auf einer schwülstigen Schwarzweiß-Aumahme sinniert sie da mit wie zufallig entblößter Oberweite vor sich hin. JEs ist nicht nur erotisch. Es drückt mein harmonisches Verhältnis zu meinem Körper aus“, sagt Myles, die sich durchaus für Dinge oberhalb des Bauchnabels interessiert. Denn Liebe und Sex haben damit zu tun, die Kontrolle abzugeben. Und das ist definitiv etwas, das der energischen Myles schwerfallt. Daran ist vielleicht der Katholizismus schuld. Oder Alannah Myles‘ irische Mutter. Gegen beides lehnte sich die Tochter auf. Sie wurde keine Heilige, sondern ein Popstar, der mit den einfachen sichtbaren Dingen hadert und seine Erfüllung in Visionen und Geheimnissen sucht Hat Myles keinen Zugang zur Realität? „Doch. Aber ich habe eine Menge außergewöhnlicher Erfahrungen gemacht“, verspricht Myles nebulös und meint damit ihren Hang zum Okkulten, Spirituellen und wahrscheinlich auch ihre Liebe zu Pferden. Ihre Popstar-Erfahrungen, ihre Auftritte vor Hunderttausenden, meint sie damit nicht Diese Zeit empfand sie als große Belastung. Sie wollte kein Prophet sein, kein Messias. Aus ihren Verantwortungsgefühlen wurden Schuldgefühle. Der Popstar als Projektionsfläche – nein, ein Spaß war dieser Zustand nicht Nachdem Myles von } ßLicbVelKt“ fiinf Millionen Platten verkauft und einen Grammy erhalten hatte, stand sie eines Morgens auf und wußte nicht mehi; wofür es sich lohnt zu leben. Der Traum war zu Ende. Jch fühlte mich schwach und allein. Und wenn man keine Freunde mehr hat, stirbt man“, sagt Myles heute. Sie schoß sich allerdings nicht den Kopf vom Hals, sondern nahm eine zweite Platte auf. ^tockinghorse“ kam einem künstlerischen Selbstmord gleich. „Die Platte war ein Desaster, aber ich war nicht in der Lage, es einzusehen. Ich kämpfte und kämpfte, denn das ist meine Natur.“ Irgendwann war Alannah Myles kein Popstar mehr^ sondern ein Problemfall. Vielleicht auch, weil Popstar-Qualität insbesondere darin besteht, sich nach Peinlichkeiten und Karriere-Einbrüchen, nach schlechten Filmen und schlechten Platten erst recht in der Öffentlichkeit zu zeigen. Und zwar nackt Und nicht mit so verklemmtem Dessous-Fotos wie Myles sie mit ihrer neuen Platte verbreitet Das könnte schiefgehen, gerade jetzt, wo die energisch-empfindliche Alannah Myles ihre unglückliche Liebe zu Robert Plant vergessen hat und wieder von schönen Klängen zu träumen beginnt: „Ich singe nicht wegen der Texte. Manchmal gefallt es mir einfach, wie meine Stimme bei bestimmten Wörtern klingt“