Volksfest, Show-Spektakel und Schauspiel in Hannover: Marius Müller Westernhagen auf der „Affentour“
Noch vor dem Anfang taktiert Westernhagen. Eine Stimme tönt plötzlich in die an ein Schützenfest gemahnende, von Bier und Bratwurst schwer gezeichnete Stimmung. Alles schweigt, denn jeder weiß: Dort spricht zwar nicht Gott, aber immerhin Westernhagen, oder besser: Marius. „Sag mal, ist das Hannover hier?“ albert er, und dann: „Nein, nein, Hannover ist lauter!“
Der Vorhang fallt, die Lichter flackern, die Menge ist aus dem Häuschen. Die Band legt Tempo vor – und im roten Samtgewand stolziert König Marius über die Bühne. Um gleich von Beginn an alle Zeichen auf Party zu stellen, beginnt er mit „Pfefferminz“. Das überwältigt sofort: Die johlenden Fans geraten in Bewegung. Nach diesem schmetternden Auftakt glättet die Schunkelnummer „Es geht mir gut“ die Wogen.
Der Sound ist dröhnend, aber zu leise – so, als ließe im Freibad jemand auf dem Nachbar-Handtuch das Radio zu laut scheppern. Manche gucken fragend, ein wenig enttäuscht – doch das darf keiner merken, denn alle anderen singen ja enthusiastisch mit und klatschen im Takt Und Marius? Der reibt sich scheinbar ungläubig die Augen, was dank großleinwandiger Videoprojektion niemandem verborgen bleibt. Es geht allen gut.
„Mein lieber Mann, das wird ein Abend“, keucht Marius freudig. Seine Star-Qualität besteht darin, daß es bei ihm keine schlechten Konzerte gibt. Auch wenn mal ein Ton daneben geht, die Stimme kippt, das Publikum ein Lied nicht schätzt, so lächelt er doch weiter, verdreht die Augen und ruft „Waaaahnsinn!“. Das ist professionell. Die Volksfest-Stimmung beruht auf einem Aufschaukelungsprozeß: Die Menge feuert Marius an, und dieser gibt die Sympathie-Bekundungen potenziert zurück. Zwischen den Liedern sind großzügige Applaus-Pausen eingeplant.
Neben Westernhagens unbestreitbaren Animierkünsten und der Illusion, daß Marius „einer von uns“ sei, scheint die Menge noch etwas anderes zu fesseln: die Faszination von Massenveranstaltungen. Im Innenraum drehen sich die Menschen immer wieder ungläubig nach der enthusiasmierten Menge um; manch einer schreitet gar kühn zum Absperr-Gitter und versucht sich in gebieterischen Gesten in Richtung Tribüne. „Die wollen jemanden da oben, der Kraft hat“, hat Westernhagen mal gesagt Man müsse sich „einerseits voll reinbegeben, aber gleichzeitig alles unter Kontrolle behalten“. Und so bestimmt er die Stimmung. Wie kein anderer deutscher Musiker versteht er es, dem Publikum das Gefühl zu geben, dies sei der Höhepunkt seiner Karriere, das beste, lauteste, größte und schönste Konzert.
Entsprechend frenetisch bringt sich das Publikum ein. Und es ist immer noch steigerungsfahig. „Mir ist das alles noch zu wenig“, kokettiert Westernhagen, woraufhin der Lärm kurzweilig die Musik übertönt Sogleich drosseln geschickt eingeworfene Balladen das Tempo. Wurden sie vor dem Sonnenuntergang zuweilen noch respektlos zum Bierholen genutzt (und einer der Höhepunkte, „Weißt Du, daß ich glücklich bin“, kaum beachtet), so verwandelt nach Einbruch der Dunkelheit ein Meer von Wunderkerzen die Arena in eine fast schon esoterisch anmutende Kundgebung. Zudem werden mit pyrotechnischen Effekten die beträchtlichen Ticket-Preise legitimiert.
Ab und an erlaubt sich die perfekt aufeinander eingespielte Band, zu ihrem Recht zu kommen – doch für enervierende Soli und beinahe Jam-Session-artige Tumulte rund ums Schlagzeug hat das Publikum wenig Verständnis. Nach zwei Stunden verläßt die Band zum erstenmal die Bühne – um dann einige Zugaben zu geben, darunter die vom Dach der Bühne intonierte Straßenhymne „Mit 18″. Zeit Rhein bißchen Wehmut: Das Programm besteht hauptsächlich aus den glatten Songs von Affentheater“; ältere Hits werden lieblos und in hinlänglich bekannter Manier heruntergespielt.
Die erlösende Nachricht am Ende: „Okay, wir setzen noch einen drauf!“ Der Abend geht, Johnny Walker“ kommt Westernhagen ruft emphatisch: „Liebt Euch!“ Doch er weiß natürlich, daß sie wenigstens für diese eine Nacht nur noch ihn lieben.