Vic Chesnutt bannt mit seinen Songs den Schmerz der Erinnerung
Es war irgendwo in Iowa. Vic Chesnutt und Bob Mould relaxten nach ihrer Show hinter der Bühne. Da tauchte plötzlich diese Frau auf, die – geschüttelt von einem hysterischen Weinkrampf- verkündete, „sie wolle unbedingt das Baby eines berühmten Freundes von mir austragen – ich werde nicht sagen, ob es Michael (Stipe) ist“. Als die Frau, die den beiden durchaus „Angst gemacht“ hatte, wieder gegangen war, sagte Chesnutt zu Mould: „I’m guilty by association.“ Einige Tage später, in Moulds Haus, schliefen alle anderen noch, ab Vic Chesnutt sich in aller Herrgottsfrühe mit einer Kanne Kaffee hinter das Klavier klemmte und sich der gleichnamige Song „praktisch wie von selbst“ schrieb.
So hat es der glühende Gram-Parsons-Fan aus Georgia schon immer gemacht: „Ich beende eine Situation, indem ich einen Song darüber schreibe. Dann ist der Schmerz weg, die Erinnerung, was auch immer. Ich mußte einfach etwas über diese merkwürdige Situation sagen, in der ich mich da befand.“ Und als dann noch Michael Stipe einwilligte, die zweite Stimme auf „Guilty By Association“ zu singen, hatte „sich der Kreis für mich auf perfekte Weise geschlossen.“ Perfekt ist auch „Is The Actor Happy?“.Betitelt nach einem Willkommens-Gruß für einen schauspielernden Nachbarn (der dann doch nicht einzog), hätte das vierte Album des agilen Mannes im Rollstuhl allerdings auch „Is The Audience Asleep?“ heißen können. Oder, noch provokativer: „Is The Audience An Asshole?“ Ist das Publikum zufrieden, freut sich der Künstler. Vor allem dann, wenn er wie Chesnutt zu oft vor desinteressierten 18jährigen spielen mußte, „die sich langweilten und Soul Asylum sehen wollten“.
So ist „Is The Actor Happy?“ allein gespeist von dem Verlangen, mit diesen 13 Songs vor (fast) jedem Publikum bestehen zu können. Chesnutt, nicht nur sarkastisch: „Es gibt genug Platz für dicke Gitarren-Soli, wo die Kids ‚Whow! Cool!‘ rufen können.“ Doch die Kennzeichnung als Rollenspiel erlaubt es Chesnutt auch, die autobiographischen, überwiegend von seiner Kindheit genährten Wucherungen früherer Werke zu relativieren. „Yeah, exactly“, antwortet er mit seiner Lieblings-FloskeL „Ich konnte genug Distanz zu diesen Songs entwickeln, weil die Charaktere nicht mehr viel mit mir zu tun haben. Und wenn ich diese Songs mal wieder vor Leuten spiele, die sich überhaupt nicht dafür interessieren – dann komme ich mir wenigstens nicht ganz so blöd dabei vor. Ich bin der Schauspieler, und es ist egal, ob es sie kümmert“ Abo auch eine Selbstschutz-Maßnahme? „Yeah, exactly. Aber erst nach den Aufnahmen wurde mir klar, daß diese Songs auf ihre Art genauso persönlich sind wie viele andere zuvor auch. Ich hatte mich also selbst betrogen.“