Gianna Nannini hat den Doktor-Titel gemacht – und ein neues Album
Frau Doktor trägt Kampfhosen. Das paßt nicht zum blumigen Samtsofa, nicht zum fein gedröselten Porzellan-Kaffeetäßchen. Frau Doktor sieht nicht aus wie Italiens berühmteste weibliche Pop-Sängerin, auch nicht wie eine Dame mit hohen Akademiker-Würden.
Seit letztem Dezember ist Gianna Nannini beides. An der Universität von Siena, Fakultät für Philosophie und Philologie, hat sich 38jährige ihren Doktortitel veredelt mit einem „Summa cum laude“ abgeholt. Thema der ungewöhnlichen Freizeitbeschäftigung: „Der Körper in der Stimme. Die Beziehung Körper-Stimme aus Sicht der Anthropologie der Musik“.
Nun kann man über Gianna Nanninis gefällig plätschernden Adria-Pop-Rock denken, was man will, ihr selber hat die eigene Beschäftigung jedenfalls zu denken gegeben. „Seit ich sing, grübele ich über den Zusammenhang zwischen Körperbewegung und Stimm-Modulation.“ Schön und gut, aber muß es gleich zur Scham aller arbeitslosen Studienabbrecher eine ganze Doktorarbeit sein? „Wenn ich kein Ziel habe, kriege ich den Arsch nicht hoch.“ Derselbe rotierte in den letzten zwei Monaten vor Abgabe des wissenschaftlichen Werkes im Schichtbetrieb außerdem zwischen Schreibtisch und Studio, wo sie zur selben Zeit am neuen Album feilte. Vielleicht heißt es deswegen „Dispetto“(„Jetzt erst recht!“).
Denn Frau Doktor hat in der Zeit der Doppelbeschäftigung eines gelernt: „Kopfarbeit behindert Musik.“ An ihrer mentalen Befreiung ist auch ein ungewöhnlicher Gast auf „Dispetto“ Schuld: Alex Hacke, Neubauten-Gitarrist mit jüngstem Hang zur Hutkrempe (als Frontmann der Jever Mountain Boys), spielt für sie Riffs, als wäre jeder Nannini-Song ein Stück von ihm. Und Nannini hofft wohl, so ihrem Album ein Schimmer von dem zu verleihen, was Gianna immer sein wollte: „Rock’n’Roll.“ Diesen Anspruch zumindest hat die Musikerin einstmals für sich formuliert.
Frau Doktor sieht das etwas anders: „Ich bin nicht stolz darauf, intellektuell zu sein, aber es ist die Alternative, als Musiker ein Akademiker zu sein. Mit Sex & Drugs & Rock’n’Roll kommt man heute nicht mehr weit.“