Comeback nach 23 Jahren: Colossesum bringen den Jazz zum Rock zurück

Im Herbst 1971 trennten sie sich nach drei kurzen Jahren. Die zur Routine gewordene Hektik ununterbrochener Tourneen hatte bei Jon Hiseman (dr), Dick Heckstall-Smith (sax), Dave Greenslade (keys), Clem Gempson (g), Chris Farlowe (voc) und Mark Clarke(bg) ihre Wirkung gezeigt.

Die musikalische Bilanz von fünf Alben konnte sich allerdings trotzdem hören lassen. Hiseman und Heckstall-Smith hatten ihre ersten Erfahrungen in Jazzformationen der frühen sechziger Jahre gemacht. Inspiriert von Jazzern wie Oliver Nelson, Roy Haynes und Roland Kirk, wechselten sie im Zuge des britischen R&B-Booms zu Bands wie der Graham Bond Organization, John Mayall’s Bluesbreakers, Georgie Fame oder Alexis Korner’s Blues Inc. In diesen Formationen gaben sich Musiker den Klinkenstecker in die Hand, die Nachwirkungen selbst auf die übernächste Generation haben sollten. An den Gitarren: Eric Clapton, Peter Green und ein noch blutjunger John Mc-Laughlin; Bassisten wie Jack Bruce oder Gollin Hodgkinson, Drummer vom Format eines Ginger Baker oder Mitch Mitchell. In London entstand ein Zirkel, dessen Einfluß sich selbst die Rolling Stones nicht entziehen konnten (Charlie Watts und Brian Jones hatten definitiv jazz-roots).

Mitte der Sixties beherrschten jedoch erst einmal Bands mit klassischer Rock-Besetzung die Charts: The Who, die Kinks und natürlich die Stones und Beatles. (Johnny hates jazz: Lennon & Co machten aus Liverpools beliebtester Caverne einen „Cellar füll ofNoise“ und senkten nebenbei die Jazz-Quote des Clubs von 100 Prozent auf Null.) Gegen Ende der Sechziger aber entwickelte sich die Szene weg von Song-orientierter Rockmusik, hin zu komplexem, experimentellem Material (ebenso von der Single hin zum Album). King Crimson, Yes, Soft Machine, Nudeus oder Pink Floyd rockten „progressiv“.

1968 trafen sich bei Colosseum Musiker, die ihre Erfahrungen zu einer Musik verschmolzen, die geprägt war von klaren Rock-Strukturen, andererseits aber auch von vertrackten Jazz-Improvisationen. (Der Begriff Jazz-Rock“ ließ nicht lange auf sich warten.) Der typische Colosseum-Sound besitzt eine differenzierte Stimmführung ebenso wie komplexe Arrangements – wie etwa die aus drei Sätzen bestehende „Valentyne Suite“.

Noch vor dem Abkühlen der Fusion-Begeisterung zerbrach Colosseum an den Spannungen innerhalb der Band. Hiseman: „Eine Band ist ein Lebewesen, das ständig Nahrung braucht; wenn du es nicht mehr mit Material futtern kannst, ist’s vorbei.“ Clempson ging zu Humble Pie, Hiseman entfesselte Tempest, Greenslade gab einer eigenen Formation seinen Namen, Farlowe sang für Atomic Rooster, Clarke wechselte zu Uriah Heep, Heckstall-Smith schließlich nahm mit vier seiner kolossalen Ex-Kollegen plus Graham Bond ein eigenes Album auf- der bezeichnende Titel: „The Story Ended“.

Daß anscheinend abgeschlossene Geschichten zu Fortsetzungen neigen, ist in einer Zeit des Kultur-Recyclings nichts Besonderes. Im Fall dieser Gruppe wurde sie nicht zuletzt durch beachtliche CD-Umsätze angeregt. Im Juni ’94 wagten Colosseum in der Originalbesetzung ihre Reunion. Hiseman: „Ich fragte die anderen, ob sie auf einem Festival spielen wollten; sie waren einverstanden. Ich war strikt gegen Proben, sondern stellte aus alten Aufnahmen ein Programm zusammen, mit dem sich jeder vorbereiten sollte. Im Studio zählte ich die erste Nummer an, und wir spielten, als hätten wir uns nie getrennt, sondern nur Urlaub gemacht.“

Die geschichtsträchtigen Jazzrocker wurden begeistert aufgenommen, doch will man von Nostalgie nichts wissen. Eher scheint es, als wolle das Sextett damals verpaßte Chancen diesmal wahrnehmen. Heckstall-Smith: „Wir machen jetzt Sachen, die wir damals nicht auszuloten wagten.“ Auf ihrer Europa-Tour wird wohl fast ausschließlich bekanntes Material zu hören sein, allerdings „haben alle Bandmitglieder die Zwischenzeit zum Komponieren genutzt,“ wie Clem Clempson berichtet, so daß Neues von Colosseum durchaus wahrscheinlich ist.

Bis dahin hat man Zeit für eine Live-CD und ein Konzertvideo: Dem deutschen Regisseur Peter Sommer ist ein präzises Portrait gelungen, an dem auch Colosseum „Regisseur“ Hiseman entscheidend beteiligt war – ein director’s cut der besonderen Art also.

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