Rammstein: Exklusives Interview mit Christoph Schneider
Heute erscheint die große Rammstein-Retrospektive "Made In Germany 1995-2011". Lesen Sie hier unser exklusives Interview mit Drummer Christoph Schneider, in dem er u. a. über die Anfangsjahre der Band und die Angst vor neuen Produktionen spricht.
Es ist eine kleine Sensation: Das große Rammstein-Interview im Dezember-ROLLING STONE ist das einzige, das die Band in diesem Jahr geben wird. Da sich die Band als Kollektiv begreift, war es nur logisch, dass der ROLLING STONE exklusiv mit Till Lindemann, Flake Lorenz, Richard Kruspe und Christoph Schneider sprach. Die gesammelten Interviews finden Sie in unserem großen Rammstein-Special in der aktuellen Ausgabe. Lesen Sie hier nun das von Rainer Schmidt und Torsten Groß geführte Interview mit Drummer Christoph Schneider.
Das Entstehen ihrer Alben beschreiben alle Rammstein-Mitglieder als schwierigen Prozess. Für die anstehenden Konzerte haben sie kein neues eingespielt. Die Grundlage der monatelangen Tournee, die sich schon im Vorfeld als auch international erfolgreichste der Bandgeschichte abzeichnet, bildet das in diesen Tagen erscheinende Best-of-Album, „Made In Germany“. Wie immer werden die Konzerte ernst genommen und verlangen von den Musikern gewisse Zugeständnisse, wie sich im Gespräch mit dem neuerdings kurzhaarigen Schlagzeuger Christoph Schneider zeigt.
Christoph Schneider, wo sind Ihre langen Haare geblieben?
Ich habe mich damit sehr wohlgefühlt, aber meine Band leider nicht. Ich bin eigentlich eher Hippie, aber die Frisur hatte anscheinend Einfluss auf meine Spielweise, deswegen bin ich öfters bei den Kollegen angeeckt.
Lange Haare haben einen Einfluss auf die Spielweise?
Ja, ich hab dann zu metallastig gespielt. Die anderen meinten: „Das sind die langen Haare. Mit kurzen hast du viel besser gespielt.“ Das stimmte zum Teil, die Haare hängen einem immer im Gesicht, man versucht, das zu vermeiden, und spielt nicht mehr so intensiv. Seitdem sie ab sind, spiele ich wieder befreiter.
Wir wollen über die Anfänge der Band sprechen. Wie haben Sie das erste Konzert im naTo in Leipzig erlebt?
Till präsentierte sich dort das erste Mal der Öffentlichkeit als Sänger. Er war total nervös, hat sich eine schwarze Sonnenbrille aufgesetzt und gesagt: „Ich mache auf Sisters of Mercy.“ Er stand starr da, hat am ganzen Leib gezittert und war nur froh, dass er seine Texte singen konnte. Das zweite Mal war in Berlin, in der Kulturbrauerei, im Kesselhaus beim Senatsrockwettbewerb. Da hat Till am Schluss gesagt: „Merkt euch den Namen Rammstein.“
Den Wettbewerb haben Sie gewonnen. Stand da der Sound schon fest?
Ja, dieses Langsame, Monotone. Die Grundidee der Band. Wir spielen ganz langsam und immer dasselbe.
Woher kam das?
Wir waren inspiriert von Bands wie Ministry und Laibach. Und wir wollten etwas wirklich anderes machen, etwas ganz Böses, stampfend und fies.
Stimmt es, dass Ihre Reisen 1993 nach Amerika einen entscheidenden Einfluss auf die Band hatten?
Das ist korrekt. Paul, Flake und ich sind damals mit unserer Punkband Feeling B durch Amerika gereist, die anderen drei alleine. Wir haben in kleineren Clubs gespielt, alles war selbst organisiert. Wir haben sehr viele Bands gesehen, die uns mit ihrer Professionalität inspiriert haben. Da spielen Bands vor zehn Leuten so, als wären 3000 da. Das hat uns sehr beeindruckt und motiviert.
Bis zum ausverkauften Madison Square Garden 2010 war es da noch ein weiter Weg …
Für jeden von uns gibt es noch Momente, wo wir innehalten und sagen: Wahnsinn. Wir kommen aus der DDR, wir sind alle keine exzellenten Musiker. Aber wir können genau das. Wir sind zwar begrenzt in unseren musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten, aber mit der Show und diesem Gesamtpaket haben wir etwas Außerordentliches erreicht.
Initialzündung für das Interesse aus und an Amerika waren sehr früh David Lynch und der Soundtrack von „Lost Highway“. Wie kam das zustande?
Wir hatten schon am Anfang großspurige Ambitionen und sagten unserer Plattenfirma, dass wir gerne ein Video mit David Lynch und ein paar anderen drehen würden. Motor hat daraufhin wirklich Tapes an die Regisseure verschickt. Und Lynch und seine Crew haben anscheinend während der Dreharbeiten immer „Herzeleid“ gehört, so sind wir auf dem Soundtrack von „Lost Highway“ gelandet. Irgendwann hieß es: „Wir wollen die Songs für den Film.“ Und wir dachten: „Ja wunderbar!“
Eine unbekannte Band, die mit David Lynch drehen will. Das nennt man größenwahnsinnig. Wir haben manchmal so hoch angesetzt. Wir wurden schon mehrmals um einen Fußball-Song gebeten, aber da haben wir bisher immer gesagt: „Das würden wir nur für die Nationalmannschaft machen!“
Wir werden es Jogi Löw sagen. Nach 2001 waren Sie zehn Jahre nicht in den USA. Warum?
Unsere Amerika-Geschichte ist sehr speziell. David Lynch war der Auslöser, dann wurde „Sehnsucht“ veröffentlicht. Als wir damit in Deutschland auf Nummer eins der Charts gingen, haben wir uns auf den Straßen von New York umgezogen und ein Showcase vor dreißig Leuten gespielt, die alle voll unter Drogen standen. Also ganz unten. Aber die Platte ist eingeschlagen. MTV, die Radiosender, alle sind drauf angesprungen – und nach einer Tour mit Limp Bizkit dachten wir: „Okay, Amerika ist in der Tasche.“ War aber nicht so. Dann kam „Mutter“, unsere beste Platte, eigentlich der Gipfel unseres Schaffens, die sich in Amerika nicht schlecht verkaufte, aber nicht so gut wie „Sehnsucht“. Wir haben dann noch drei, vier eigene Tourneen gespielt, jeweils vierzig, fünfzig Konzerte im ganzen Land, sehr mühselig. Mal alleine, mal mit Slipknot und System Of A Down. Dann kam der 11. September 2001, die nächste Tour wurde um sechs Wochen verschoben und war auch nicht mehr so gut besucht. Danach haben wir aufgegeben und gesagt: „Scheiß auf Amerika!“
Und plötzlich ein neuer Versuch in New York …
Zu „Liebe ist für alle da“ haben wir in Kanada vor 100.000 Menschen gespielt, darunter viele angereiste Amerikaner. Da dachten wir, vielleicht geht da doch noch was. So entstand die Idee mit der Show im Madison Square Garden. Wir wollten ein Zeichen setzen. Mal sehen, ob wir die Halle ausverkauft kriegen, eine Art Comeback. Hat ja geklappt. Mit der neuen Best-Of „Made in Germany“ spielen wir in den USA 20 Shows in den großen Arenen.
Wer hat in der Band das Sagen?
Wir sind ein ziemliches Kommunisten-Kollektiv. Alles wird gemeinschaftlich entschieden, und es wird nicht gern gesehen, wenn einer besonders viel Beachtung anstrebt oder bekommt. Alle repräsentieren die Band, nicht nur der Sänger. Till hat damit nie ein Problem gehabt. Wir wissen, dass wir nur zusammen Rammstein sind. Wenn einer mal ausschert, gibt es die Gruppenkraft, die ihn wieder eingemeindet: „Geh mal zurück in deine Reihe.“ Das beschneidet natürlich ein bisschen die Individualität. Aber wir lieben das. Wir fühlen uns darin sicher und wohl, weil wir wissen, dass da unsere Stärke liegt.
Wie oft stand die Band vor dem Auseinanderbrechen?
Vor zehn Jahren gab es eine ernsthafte Krise, und vor Kurzem noch mal ein bisschen. 2001 dachte einer, er sei die Band und müsse alles musikalisch kontrollieren. Da bekamen die anderen Platzangst. Richard ist damals nach Amerika gegangen. Durch das Soloprojekt hat er gemerkt, was er an Rammstein hat.
Und kürzlich?
Das hatte mit mir zu tun. Ich habe bei der letzten Platte ziemlich rumgenervt und wollte mich mehr verwirklichen. Da bin ich oft bei den Kollegen angeeckt, weil ich manchmal zu beharrlich an bestimmten Dingen festgehalten habe.
Klingt nach psychotherapeutischen Dauersitzungen.
Absolut, das ist richtige Psychotherapie.
Denkt ihr manchmal darüber nach, wie lange das noch weitergehen kann oder soll?
Ja. Man hat natürlich Angst, dass man absteigen könnte. Das ganze Leben basiert ja auf der Band. Manche von uns haben Angst vor neuen Produktionen. Das ist für alle immer eine extrem schwierige Geburt. Alles muss von allen bewertet werden. Für Till ist das am schwersten. Der steht mit seinen Texten jedes Mal wie vor einem Tribunal. „Finden wir gut, finden wir nicht gut.“ Er trägt eine enorme Last auf den Schultern, wie am Ende der Show mit den 50 Kilogramm Engelsflügeln. Zu jedem Song der passende Text, das dauert bei uns immer so ein Jahr.
Zwischen den Platten lasst ihr beachtliche Pausen.
Ja, nach einer Tourperiode brauchen wir Privatleben, um uns zu sammeln. Uns hat immer geholfen, dass wir keine Medienband sind. Rammstein finden in Radio und TV nicht statt, wenn wir weg sind, sind wir weg, der Fan wird nicht genervt, sondern freut sich, wenn wir nach so einer Pause endlich wieder auftauchen.