Mark Reeder: Auf Mission mit Campino
Der Musiker, Labelmann und Produzent Mark Reeder brachte Punk in den Osten. Trosten Groß besuchte ihn und protokollierte seine Erzählung über eben diese Mission, bei der auch der Sänger der Toten Hosen beteiligt war.
Gegen die Wand: Am 13. August 1961 begann der Bau der Berliner Mauer. Seit 1989 ist sie Geschichte – was hat sie für die Popmusik bedeutet? Zum 50. Jahrestag: das Mauer-Special mit U2 und Bowie, Puhdys und Tresor.
Berlin war immer eine Stadt der Illusionen: Was man suchte, hat man auch gefunden. Als ich Ende der 70er-Jahre herkam, hatte sich die Punkszene in Manchester erledigt. Ich war mit Mick Hucknall (später Simply Red) bei den Frantic Elevators gewesen, aber dann wurde Punk von Sachen wie Tom Petty infiziert, und alle wollten nach Amerika. Ich hingegen war mehr an Osteuropa interessiert – so habe ich Berlin entdeckt. In der Kunst- und Musikszene dort herrschte eine ganz andere Mentalität, die ich so nicht kannte. Formellos, experimentell, nicht den Gesetzen des Rock folgend. Die Grundidee des Punk hat in dieser Stadt weitergelebt.
Kurz zuvor war Factory Records gegründet worden, und ich wurde zum deutschen Vertreter ernannt. Ich sollte meinen Freunden von Joy Division helfen, in Europa Fuß zu fassen. Als sie in Berlin spielten, war ich zum ersten Mal im Ostteil der Stadt. Ian Curtis wollte das Brandenburger Tor sehen. So begann ich, die DDR-Rockszene zu erforschen. Das waren alles so Wrangler-Jeans-bekleidete Typen mit Mungo-Jerry-Haarschnitten, die wie Yes oder Pink Floyd sein wollten, also langweilig. In der Bahn sah ich dann einen jungen Mann, der für DDR-Verhältnisse nach Punk aussah. Den habe ich einfach gefragt, ob es in Ostberlin eine Undergroundszene gebe. Als ich Jahre später meine Stasiakte eingesehen habe, kam übrigens raus, dass der Typ IM war. Ich wurde als ganz gefährlich eingestuft, weil ich mich für den „Underground“ interessiert hatte. Die dachten, ich meine den politischen Underground.
Wie auch immer: Nach Monaten kriegte ich einen Brief von einer Frau aus Ostberlin, die sich mit mir treffen wollte. Sie hörte regelmäßig John Peel und war auf dem Laufenden. Über sie habe ich dann Leute gefunden, die andere Musik hörten. Denen habe ich Musik aus dem Westen mitgebracht und konnte so ein bisschen in diese Ostberliner New-Wave- und Punkszene reinschnuppern – sehr spannend. Der Wunsch, diesen Leuten Musik zu bringen, hat mich total gekickt. Schließlich habe ich das erste Konzert einer West-Punkband im Osten koordiniert: die Toten Hosen in einer Kirche in Rummelsburg, im Rahmen der sogenannten Bluesmesse. Das lief konspirativ, wir sind ohne Instrumente rüber, luden hundert ausgewählte Leute ein. Die späteren Rammstein-Musiker liehen den Hosen ihre Gitarren.
Berlin ist heute die letzte Bastion des freien Denkens in Europa. Aber ohne die Neubauten oder die Tödliche Doris würde es dieses Berlin nicht geben. Die spätere Techno-Parole „Open Your Mind“ drückt eine auf Blixa und andere zurückgehende Haltung aus. Leider gibt es viele Entwicklungen in Richtung Elitismus. Aber so lange es bezahlbar bleibt, kommen auch Menschen, die ihre Freiheit ausleben wollen. Diese Menschen sind für mich Berlin.
Mark Reeder, 53, kam Ende der 70er-Jahre von Manchester nach Berlin. In den folgenden Jahren spielte er mit Thomas Wydler und anderen bei der Band Die Unbekannten, dokumentierte für die BBC-Show „The Tube“ die Berliner Szene in Ost und West und gründete das Techno-Label MFS. Bald erscheint ein Album mit ausgewählten Reeder-Remixen von Depeche Mode, den Pet Shop Boys u.a.
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