Almost Gothic: MiMi mit ihrem Album „Road To Last Night“

Das erste Album von MiMi klingt wie eine klassische Songwriter-Platte. Dass Marius Müller-Westernhagen ihr Vater ist, lässt keine Rückschlüsse zu - ihren eigenen Kopf hatte die Sängerin nämlich schon immer.

Ja, MiMi ist jung. Und hübsch. Früher hat sie in London als Model  gearbeitet, 2009 wollte sie sogar der „Playboy“ für eine Titelstory fotografieren (und durfte auch). Und ja, sie ist die Tochter von Marius Müller-Westernhagen. Aber wenn die 25-Jährige mit der Gitarre auf der Bühne steht und die eigenen Songs singt – dann sind all die Referenzen plötzlich Nebensache.

Trotzdem gibt es etwas zu beweisen, an diesem Frühsommerabend im Berliner Soho House, einem Members-only-Club für Reiche, Schauspieler und Aufschneider. Draußen scheint noch die Sonne, in der Bibliothek brennen schon die Lampen. Die geladenen Journalisten knabbern Cracker, stehen mit Wein an der Theke, führen die üblichen Vor-der-Show-Gespräche: „Hätte ja gar nicht gedacht, dass ‚Road To Last Night‘ so gut, so erwachsen ist.“

„Was?“

„Na, die Platte von MiMi. Die heißt doch so, oder?“

Und da kommt sie. In roten Strümpfen, grünen Schuhen und dunklem Blumenkleid. Rob, ihr Ex-Freund, begleitet MiMi auf dem Bass. Mit ihm hat sie auch schon in der Band Battlekat gespielt, damals, als man einfach „die nächsten Led Zeppelin“ sein wollte und Songs schnoddrig „Divine Vagina“ oder „Wesley Snipes“ nannte.

Zu dieser Zeit wirkte Sarah Reema Westernhagen (so heißt die Künstlerin laut Reisepass) noch wie eine Oberstufenversion von Courtney Love, kreischblond, rabaukenhaft, etwas zu bemüht vielleicht – heute ist sie mehr Typ Twiggy. Oder was aus Twiggy eben geworden wäre, wenn sie in den 70er-Jahren in einer Musikerkommune in Laurel Canyon hängen geblieben wäre.

Dem staunenden Publikum im Soho House spielt sie ihre herrlich ungekünstelten Mitternachts-Wüsten-Pop-Songs. Lieder, die einen aus dunkel geschminkten Mädchenaugen anzuschauen scheinen. Und doch so klingen, als hätten sie schon die halbe Welt gesehen. Die Gitarre ist ein bisschen zu groß für sie. Die Fahrigkeit, mit der sie am Anfang der Stücke stets kontrolliert, ob die Finger auch an der richtigen Stelle sitzen, ist allerdings nur gut gespielt. Nervös sei sie nie vor den Auftritten, erzählt MiMi hinterher. Ein Glas Rotwein nehme sie vorher höchstens, um sich ein wenig „Dutch courage“ anzutrinken. „Ich sehe mich gar nicht als professionelle Musikerin“, sagt sie. „Wenn ich Songs schreibe, dann kommen die Akkorde einfach so. Man darf sich nicht zu sehr bemühen, zu ambitioniert sein. Ein kleiner Tropfen Tinte macht das ganze Wasser blau.“

Battlekat haben sich 2009 aufgelöst, die Akkorde kamen trotzdem weiter. Und es war ausgerechnet ihr Hamburger Modelagent, der ihr den entscheidenden Tipp gab: Franz Plasa, bekannt als Produzent von Selig, Rio Reiser oder Echt, hatte gerade eine Musikproduktionsfirma gegründet. Nicht der logische Partner, aber genau der richtige. Stück um Stück nahm sie mit Plasas Leuten auf, zwischendurch flog MiMi zurück nach London, Geld als Model verdienen. Seit „Road To Last Night„, das Album, auch eine Plattenfirma überzeugen konnte, muss sie das nicht mehr.

Sarah nennen sie mittlerweile übrigens nur noch Bank und Finanzamt. „Wenn ich ‚Sarah‘ auf dem Anrufbeantworter höre, dann weiß ich: Es geht wieder mal um eine Rechnung, die ich nicht bezahlen kann“, sagt MiMi. Und lacht darüber. Entweder ihr Standardwitz oder gut eingeübter Fatalismus.

Später im Club White Trash – es ist schon nach Mitternacht – trinkt sie ein großes Bier, sitzt so cool am Tresen, dass man meint, sie sei eine Rockerin, die sogar in Bars auf den Boden spuckt. Sie liebt das reichhaltige amerikanische Essen hier, die „massive burgers“ und die Riesen-Steaks. „Das ist MiMi-Food!“

Warum wird aus dem Londoner Mädchen mit dem berühmten Vater – ihre Mutter ist die Fotografin Polly Eltes – keine Peaches Geldof, keine Paris Hilton, keine Berufstochter? „Ich war immer normal, habe ganz normal gelebt. Meine Mutter hat mir beigebracht, dass es wichtig ist, genügsam zu sein.“ Elektrizität nutzt sie in ihrer Hamburger Wohnung – da will sie nach all den Pendelreisen nun erst einmal bleiben – nur in der Küche und im Bad. Eine Spüle will sie demnächst selbst einbauen. Abends brennen Kerzen.

Tatsächlich war MiMi während ihrer Schulzeit „totally gothic“. Schwarzes Haar mit roten und lila Strähnchen drin? „Na klar! Burn the school down! Wie ich die Schule gehasst habe!“ Die meiste Zeit verbrachte sie damit, auf Tischen zu malen und ihre Hausaufgaben mit Graffiti-Dosen auf große Blätter zu sprühen. Den Abschluss hat sie trotzdem geschafft.

Rebellentum war am Anfang auch die Motivation hinter MiMis Musik. „Aber irgendwann erschöpft es sich eben, immer wieder ins Mikro zu brüllen, wie sehr man die Erwachsenen hasst.“ Die neuen Songs sind dagegen von emotionaler Intelligenz geprägt, von Verlustangst, aber auch vom Gefühl, allein bestehen zu können – ein starker Eindruck, der viele ein wenig verstört, wenn sie das coole Model zum ersten Mal singen hören.

Was Marius Müller-Westernhagen dazu sagt? Das weiß MiMi nicht. „Wir haben da so eine Abmachung“, erklärt sie. „Wir sprechen nie über Musik oder das Business. Weil ich meine eigenen Erfahrungen sammeln will. Das wäre sonst so, als wenn man bei einem Krimi die Auflösung als Erstes liest. Blödsinn.“

MiMis Geschichte ist kein Krimi. Vielleicht eher ein Western, mit Steaks, schwarzen Hüten und „Wanted“-Schildern. Und einem einsamen, aber aufrechten, nicht rauchenden Marlboro-Girl.

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