Wer ist Alice Weidel? Und was will sie eigentlich?

Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie über die Frau, die sich mit Elon Musk verbündet.

Die frühe Alice Weidel ist vielen in Erinnerung, als sie bei einer Rede des SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs empört aufstand und mit dem linken Fuß aufstampfte wie ein kleines Mädchen. Kahrs hatte ihre Partei zutreffend als rechtsradikal bezeichnet. Fühlte sie sich etwa getroffen?

Weidel, unterdessen Kanzlerkandidatin der AfD, hat sich seit ihrem 2013 erfolgten Parteieintritt auf den kurzen Weg von der DM-nationalistischen Opposition gegen den Euro zur Kollaboration mit dem Höcke-Flügel und zur angriffslustigen Agitatorin gegen Migranten entwickelt.

Vom Rednerpult des Bundestages aus stigmatisierte sie diese mit schneidender Stimme pauschal als „Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und andere Taugenichtse“; wiederholt bekräftigte sie das von den europäischen Identitären vertretene Narrativ des Großen Austausches, in ihren Worten: der „Strategie des Generationenersatzes durch eine ungeregelte Zuwanderung“.

Wandelnder Widerspruch

Über Weidel weiß man nicht besonders viel, sie wird bisweilen als wandelnder Widerspruch bezeichnet, denn als Vorsitzende steht sie für vieles (oder so gut wie alles), was vor allem ostdeutsche AfD-Anhänger verachten. Eine südwestdeutsche „Lesbe“, die in einer offenen Partnerschaft mit einer Frau lebt; eine neoliberale Unternehmensberaterin, die zuvor bei börsennotierten Unternehmen wie Goldman Sachs, dem Inbegriff des vaterlandslosen Kapital tätig war; eine lange Zeit Steuerflüchtige mit Wohnsitzen in der Schweiz; eine auf ihre Weise emanzipierte Frau, die im Milieu giftiger Maskulinität den Männern in Fraktion und Partei rhetorisch wie machttaktisch weit überlegen ist. Und die gehäufte Ausfälle der AfD gegen Ausländer, Bonzen, globalistische Eliten und Queer People mitträgt oder kaltlächelnd beschweigt.

Viele Beobachter dieser Paradoxien haben zu ergründen versucht, wer diese Frau ist und was sie antreibt: Machthunger? Faschistoide Weltanschauung? Der erwähnte Auf-Tritt im Bundestag lässt bei ihr ein hohes Maß an Gekränktheit durchscheinen, das sie mit trotziger Angriffslust kompensiert. Dass sie in der Beliebtheitsskala der deutschen Politiker und Politikerinnen ganz unten rangiert, dürfte sie  eher anstacheln, denn ihr geht es vor allem darum, in diesem Popularitätstest überhaupt in den Top Ten angekommen zu sein.

Tochter eines Flüchtlings

Dabei dürften wenig beachtete generationenübergreifende Übernahmen aus ihrer Herkunftsfamilie eine Rolle spielen. Alice Weidel, 1969 im westfälischen Gütersloh geboren, jahrgangsbeste Betriebswirtschaftsstudentin mit ausgezeichneter Promotion, einzige Mandarin-Sprechende im Bundestag, ist Tochter eines Flüchtlings aus Oberschlesien, dessen Schicksal sie sich verpflichtet fühlt, und Enkelin eines 1933 in die SS eingetretenen NS-Richters, von dem sie angeblich nichts wusste. Beide machten ihren Weg in die Nachkriegsrepublik, Ermittlungen über den Großvater blieben folgenlos. Sie waren Besiegte.

Daraus kann man gewiss keine weltanschauliche Erbschaft ableiten, aber sehr wohl eine über drei Generationen verlaufende Opfer-Geschichte. Weidel selbst hat sie jüngst dem rechten US-Magazin „The American Conservative“ vorgetragen, als sie von Deutschland als Kolonie der Vereinigten Staaten munkelte und das Motto der „Besiegten von 1945“ ausgab: „Denn wir Deutschen sind ein besiegtes Volk.“ Sie hatte dafür sogar ein Zitat des Nationalphilosophen Johann Gottlieb Fichte parat: „Was seine Selbständigkeit verloren hat, hat zugleich die Fähigkeit verloren, in den Fluss der Zeit einzugreifen und ihren Inhalt frei zu bestimmen“

Solche Menschen „haben von nun an keine eigene Zeit mehr, sondern zählen ihre Jahre nach den Ereignissen und Zeiten fremder Nationen und Reiche“. Dass es auch Vorteile hat, „Sklave zu sein“, illustriert sie damit, dass Deutsche nicht gezwungen waren, an den Kriegen der westlichen Hegemonialmacht mitzuwirken, die ihre Partei bekanntlich als wahre Auslöserin des Ukraine-Krieges identifiziert hat.

Postkolonialismus von Rechtsaußen

Das von Weidel angestimmte Narrativ geht zurück auf das Buch des rechtsgerichteten Politologen Hans-Joachim Arndt „Die Besiegten von 1945. Versuch einer Politologie für Deutsche samt Würdigung der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland“ von 1978. Es richtete sich gegen die Neugründung des westdeutschen Teilstaats als Rechts- und Verfassungsstaat und die damals noch höchst umstrittene Auffassung, der 8. Mai 1845 sei ein Tag der Befreiung gewesen.

Denn Deutschland war für Arndt lediglich in die Gewalt seiner Besatzer gefallen, und dieser Zustand reiche bis in Weidels Lebenszeit: „,Deutschland‘ – was immer das jetzt sein mag – wird heute, 1977, nach wie vor vom 8. Mai 1945 zentral bestimmt, vom Tag der bedingungslosen Kapitulation, der totalen Niederlage nach einem totalen Krieg. Dies Kern-Ereignis bestimmt darüber hinaus auch die heutige Lage, mindestens, in Mitteleuropa, dafür haben die anderen Völker und deren Staatsmänner offenbar ein sichereres Gespür als die Deutschen und manche ihrer Staatsmänner.“

Diese „Lageanalyse“, die auf den NS-Theoretiker Carl Schmitt zurückgeht, gilt für die Adepten Arndts, die sich im „Institut für Staatspolitik“, einer Denkfabrik der Neuen Rechten in Schnellroda versammeln, auch noch für das vereinte Deutschland.

Weidels neuralgischer Punkt

Mit diesem Postkolonialismus von Rechtsaußen wird der grundsätzliche Dissens zum etablierten Konservatismus der rechten Mitte (alias „Gärtnerkonservatismus“, wie Armin Mohler, der Doyen der Neuen Rechten, die CDU bezeichnet hat) definiert. Und das ist Weidels neuralgischer Punkt: Vor allem die „Aufarbeitung der NS-Geschichte“ nach 1945, an der sich die Christdemokratie zögerlich beteiligte, war für die Neue Rechte der Sündenfall. Sie bekämpfen ihn, um sich das Odium des Faschismus loszuwerden und eine ungehindert reaktionäre Politik betreiben zu können, die sich über die (angeblich von den Westalliierten aufgezwungen!) Zumutungen des Grundgesetzes hinwegsetzt.

Das Ziel ist, die „Brandmauer“ einzudrücken wie in Italien, den Niederlanden und in Österreich, wo längst der Schwanz mit dem Hund wackelt, seit die Rechtsradikalen die Konservativen überflügelt und zu opportunistischen Juniorpartnern degradiert haben. Die Hebel sind, ganz im Sinne der Verschwörungstheorie vom Großen Austausch, die Hetze gegen Einwanderung und die supranationale Westbindung.

Staatlich verordnete Kriegstreiberei

Alice Weidel ist Realpolitikerin genug, um sich nach der radikalen Wende in den USA nun bei Donald Trump anbiedern zu wollen und sich mit Elon Musk zu verbünden. Und es gelingt ihr auch hier, sich von der Union abzusetzen. „Aber jetzt, wo wir den Punkt der absoluten Nichtigkeit erreicht haben, haben unsere politischen Führer die Begeisterung für den Krieg entdeckt. Kriegstreiberei ist zu einem staatlich verordneten Wahnsinn geworden, wie es ihn seit dem Ende des letzten Weltkriegs nicht mehr gegeben hat. Die CDU, die die Opposition anführt, übertrumpft derzeit die Regierungsparteien darin, wer das lauteste und vulgärste Kriegsgeschrei ausstoßen kann. Und das alles trotz völliger militärischer Inkompetenz.“

Und die Möchtegern-Kanzlerin pöbelt munter in Richtung Friedrich Merz: „Was wir hier sehen, sind wirklich und wahrhaftig die wilden sexuellen Phantasien von impotenten Menschen. Wir werden dieser grotesken Farce so schnell wie möglich ein Ende setzen.“

Deutschland ist das Land, das diese Frau stoppen kann.

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