Bildband „The Shining“: Der Teppich, der Blutfluss, das Dreirad

Ein neuer, lesenswerter Bildband widmet sich Stanley Kubricks „The Shining“

Nahezu alle Filme von Stanley Kubrick lassen sich sehr einfach in gut oder schlecht einsortieren. Es gibt die Meisterwerke. „2001: Odyssee im Weltraum“, „Uhrwerk Orange“. Es gibt die Misserfolge. „Full Metal Jacket“, das nicht nur die zu langsame Arbeitsweise des Regisseurs bloßlegt (er fing seinen Vietnamfilm vor Oliver Stones „Platoon“ an und beendete ihn zu spät, ein Jahr danach). Sondern auch die Bequemlichkeit des Wahl-Engländers. Den Dschungel Vietnams stellte er im Londoner Industriegebiet nach. Bei „Eyes Wide Shut“ kommt man dann gar nicht mehr drumherum, die Straßen Manhattans als artifizielles Paradies zu betrachten, hergestellt in den Pinewood Studios.

„The Shining“ von 1980 markierte bis dahin das Ende seiner längsten Drehpause, fünf Jahre nach „Barry Lyndon“. Es gibt keinen Kubrick-Film, über den leidenschaftlicher diskutiert wird. Vorab: Stephen King hat Recht. Es ist kein guter Film. Sein dritter, autobiografisch angelegter Roman erzählt von einem Schriftsteller, der seine Kinder schlägt, weil er Alkoholiker ist (oder weil Alkoholismus seine Neigungen verstärkt). Jack Nicholson in der Rolle des Jack Torrance (hat er danach je wieder jemand anderen gespielt als Jack „Here Comes Johnny“ Torrance?) entwickelt sich in gefühlter Zeitraffer zum psychopathischen Clown, über den das Haus, und nicht die Flasche zu schnell die Kontrolle zu erlangen scheint.

Aber „The Shining“ ist ein sehr schön aussehender Film. Weil er so echt aussieht. Den Weltraum zu stilisieren, wie in „2001: Odyssee im Weltraum“ ist ja nicht schwer. Der Weltraum ist unbekannt. Da kann man alles machen. Genauso wie die Dystopie von „Uhrwerk Orange“. Die Zukunft könnte immer so aussehen, wie sie jemand darstellt.

Ein Teppich, der in die Popkultur eingegangen ist

Deshalb sind „The Shining“ als auch der Kostümfilm „Barry Lyndon“ die schönsten Filme des Stanley Kubrick. Sie kleiden das aus, was wir wirklich beurteilen können. Wie schön, umheimlich schön gerade „The Shining“ ist, zeigt der Bildband „The Shining“ (Taschen). Viele der Bilder sind in das so genannte „kollektive Bewusstsein“ eingesickert. Das Heckenlabyrinth (leider ohne die Heckentiere, wie im Roman). Das Bild der Penthouse-Schönheit über dem Hotelbett von Scatman Crothers. Die Blutwelle im Hotelflur. Vor allem aber der Teppich. Ein Teppich, der in die Popkultur eingegangen ist! Ein Dreirad, das über den Teppich gleitet. Es gibt den Teppich sogar als Mütze.

Noch heute rätseln Kubrick-Apologeten über Formen und Farben im Overlook-Hotel. Es gibt eine waghalsige Dokumentation („Room 237“), die sich Schnitttheorien als auch historischen Symbolismen (die Kolonialisierung Amerikas) widmet. Es scheint, als ob jede Treppe, jede Schreibmaschinentaste, jede Abstellkammer und jedes Bild an der Wand eine Nachricht zu transportieren scheint. Trägt Danny Torrance einen Raumfahrer-Pullover der Apollo-Mission, weil Kubrick der Regisseur des „Moon Hoax“ von 1969 gewesen war? Solche Sachen.

Das Taschen-Kompendium, herausgegeben von Lee Unkrich und editiert von  J.W. Rinzler, widmet sich wohltuend sachlich der 1979 entstandenen Filmproduktion, nur gelegentlich romantisch eingefärbt. Denn nicht alles lief harmonisch ab. Es gab ja nicht nur King vs. Kubrick, es gab auch Kubrick vs. Duvall, und wohl leider auch Nicholson vs. Duvall. Er nahm sie nicht ernst.

Man muss auch sagen: Besser wurde Stanley Kubrick danach nicht mehr

Jack Nicholson and Joe Turkel on the Gold Ballroom set.

A cheerful Stanley Kubrick on the Colorado Lounge set.
Makeup artist Tom Smith and an assistant touch up actor Billie Gibson’s hair.
Stanley Kubrick and Jack Nicholson converse on the Overlook Lobby set.
Stanley Kubrick films Danny Lloyd and Shelley Duvall within the Hedge Maze set.

Aber es geht auch um Kontexte, um die Verarbeitung des entsetzlichen Stresses, den der phrasenhaft als „Kontrollfreak“ und „Perfektionist“ bezeichnete Stanley Kubrick seinem Team abverlangt hatte. Die im Netz kursierenden Kurzclips von einem aufgeladenen Nicholson, der sich erst die Zähne putzt und dann Axthiebe übt, aber auch die Zänkereien zwischen Regisseur und Hauptdarstellerin, weil sie eine schneebelagerte Tür nicht aufbekommt, vermitteln eben nur das halbe Bild.

Im „The Shining“-Bildband kommen viele Beteiligten – wenn auch überwiegend innerhalb von Archivgesprächen – ausführlich zu Wort. Und etliche der Fotos gab es noch nie zu sehen. Dieses Buch ist auch dann lesenswert, wenn man den Film nicht mag. Man muss auch sagen: Besser wurde Stanley Kubrick danach auch nicht mehr.

Stanley Kubrick’s The Shining
Hg. Lee Unkrich

Hardcover, 2 Bände im Schuber, 20.0 x 22.0 cm, 3.71 kg, 1396 Seiten
€ 100
taschen.com

Lee Unkrich ™ & © WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC. (s22) Courtesy of the Stanley Kubrick Archive
™ & © WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC. (s22) Courtesy of Jim and Ann Lloyd
™ & © WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC. (s22) Courtesy of the Stanley Kubrick Archive
Lee Unkrich ™ & © WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC. (s22) Courtesy of the Stanley Kubrick Archive
Lee Unkrich ™ & © WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC. (s22) Courtesy of the Stanley Kubrick Archive
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