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Birgit Fuß fragt sich durchKolumne

Ziel 2025: Gegentrend Freundlichkeit

„New Year’s Day“ – und nun? Wie können wir die Schwermut bekämpfen und vielleicht unsere „resting bitch faces“ loswerden?

Neues Jahr, neues Glück – der alte Spruch ist gerade etwas schwer zu glauben, nach den Ereignissen der vergangenen Wochen. Werden wir am 1.1. weiterhin in Katerstimmung versumpfen – oder uns aufraffen können und an das neue Jahr glauben?

„All is quiet on New Year’s Day/A world in white gets underway“, so beginnt der vielleicht berühmteste Neujahrssong, „New Year’s Day“ von U2. Eigentlich hatte es als Liebeslied für Bonos Frau begonnen, dann dachte der Sänger über die Solidarność-Bewegung in Polen nach – und so schwankt der Song zwischen Aufbruchsstimmung und Sehnsucht. Was ja manchmal auch dasselbe ist.

„We can break through/ Though torn in two/ We can be one.“ Die Bestimmtheit, mit der hier eine Zukunft in Verbundenheit besungen, ja herbeigesungen wird, bleibt tröstlich. Besonders wenn man eigentlich gerade nur wild um sich schlagen möchte, weil man das Gefühl hat, wahrscheinlich ein paar Richtige zu treffen. Überall Vollidioten, zumindest sobald man den Fernseher oder X anmacht.

„New Year’s Day“ wurde im Januar 1983 veröffentlicht, als Vorbote des dritten Studioalbums, „War“. Mit dem Jungen, der auf dem Cover zu „War“ böse in die Kamera schaut, konnte ich mich von Anfang an identifizieren.

Mein Gesichtsausdruck war und ist von Natur aus muffig bis grantig, weshalb ich sehr oft die Frage „Was hast du denn?“ hörte, auch wenn ich gerade arglos vor mich hin puzzelte.

Man kann schnell für zu ernst gehalten werden

Das Problem teile ich immerhin mit Michael Stipe, der sich mal bei mir beschwerte, dass er für viel zu ernsthaft gehalten werde wegen seines „resting bitch face“. Bei ihm wird der Eindruck noch verstärkt durch die Narbe zwischen den Augen, die ständige Nachdenklichkeit vortäuscht.

Momentan haben wohl weder Stipe (teilweise wohnhaft in Georgia, einem der Swing States, die sich diesmal für Trump entschieden haben) noch ich (wohnhaft in Berlin, wo mir Christian Lindner zum Glück nie begegnen wird, weil er anders als Cem Özdemir sicher nicht mit dem Fahrrad durch
Kreuzberg fährt) viel Grund, kein „bitch face“ aufzusetzen.

Die Welt ist aus den Fugen, wie kriegen wir sie wieder ins Lot? Am letzten Tag des Jahres 2010, in dem der Schauspieler Frank Giering gestorben war, schrieb unser Kollege Uwe Kopf in der „B.Z.“: „In Gierings Gesicht zeigten sich immer Angst, Schwermut und Liebe. Meine Damen und Herren, auch unter Ihren Verwandten und Freunden gibt es mindestens einen Menschen wie Frank Giering, und es wäre doch ein Vorsatz fürs neue Jahr, diesen Menschen zu erkennen, zu trösten, zu retten.“


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Ich kann bestätigen, dass Uwe das etwas später mit mindestens einem Menschen gelungen ist, und ich finde, es ist immer noch der beste Neujahrsvorsatz, ja -wunsch. Vielleicht kann man andere Menschen gar nicht retten, aber ihr Leben viel schöner machen: das auf jeden Fall. Oder wenigstens erträglich.

Wenn so viele herzlose Vollidioten auf der Welt herumlaufen, sollten die Großherzigen sich mehr denn je zusammentun. Es wäre doch toll, wenn wir dann im nächsten Jahr ein besseres Fazit ziehen könnten als „Nothing changes/ On New Year’s Day“.

Unsere resting bitch faces werden wir vielleicht nicht los, aber statt bitchy zu sein, könnten wir mehr auf andere achten und freundlicher sein. Starten wir einen Gegentrend!

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