Kritik: „Mufasa: Der König der Löwen“ – ein guter Jenkins, ein noch besserer Disney
Arthouse-Regisseur Barry Jenkins beherrscht das Disney-Playbook und erzählt dennoch seine eigene Geschichte
Erzählt „Mufasa: Der König der Löwen“ eine neue Story? Natürlich nicht. Es ist ein Disney-Märchen, das sich wie viele andere aus dem Disney-Haus entfaltet. Eine Katastrophe führt zur unfreiwilligen Trennung von den Eltern, es folgt eine Odyssee des Kinds, die Aufnahme des Waisenkinds in eine neue Familie, schließlich Eifersucht, Verrat, Kampf – und am Ende Frieden, wenn auch manchmal trügerischer Frieden. Das Playbook der Heldenreise, von Walt Disney ab den 1930er-Jahren regelmäßig kindgerecht aufgearbeitet.
Dies ist aber auch ein Film von Barry Jenkins, der mit Coming of Age („Moonlight“) und Rassismus („The Underground Railroad“) zu einem Oscar-prämierten Regisseur geworden ist. Jenkins hat mehr zu verlieren, als dass Disney mit ihm zu gewinnen hätte.
Anders als die zuletzt gescheiterte Arthouse-Kollegin Chloé Zhao („The Eternals“) oder der Quatschkopf Ben Wheatley mit seinem immer quatschköpfigeren, als Exzentrik verkauften Karriereweg („Meg 2“) kanalisiert Jenkins seine Themen jedoch in ein angestammtes Comic-Cartoon-Franchise, ohne die Harmonieanforderungen von Disney aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das ist ein Kunststück. „Mufasa: Der König der Löwen“ diskutiert Fragen zur „Reinheit der Rasse“, zum Faschismus, zur Frage nach der legitimen Rebellion von „Außenseitern“, die von ihrer Gemeinschaft grundlos verstoßen wurden, und, nicht ganz unwichtig, ob es einen „Chosen One“, auch das ein potenzielles Merkmal des Faschismus, wirklich geben kann. Das hat „Mufasa“ ja vielleicht bei „The Phantom Menace“ oder den „Matrix“-Filmen abgeschaut.
Romanze im nächtlichen Gebirgsschnee
Die Set Pieces sind schlau konstruiert, was für einen Nicht-Set-Piece-Regisseur wie Jenkins eine außerordentliche Leistung darstellt. Eine Romanze im nächtlichen Gebirgsschnee, aber auch der Verrat im nächtlichen Gebirgsschnee; die Lieder unaufdringlich, selbst, wenn sie vor einem tödlichen Duell intoniert werden; die Actionszenen zwischen den Löwen Mufasa, Taka alias Scar und dem Siegfried-und-Roy-artigen Kiros (im Original gesprochen von Mads Mikkelsen – er hat bald wohl alle Franchises durch, von Bond über Star Wars bis Indiana Jones) variieren zwischen verschiedenen Ebenen, ober- und unterirdisch.
Es gibt, gleich zweimal, eine Wiederholung (oder, dies ist ja ein Prequel: die Erstdarbietung) jenes in die Filmgeschichte eingegangenen, wortwörtlichen Cliffhangers zwischen Mufasa und Scar. Den wird niemand, der noch immer am ersten „König der Löwen“ zu knabbern hat, kaltlassen. Das Schöne am Erbe der Ahnen ist bei Barry Jenkins keinesfalls, dass die Toten vom Himmel aus den Lebenden beistehen. Er glaubt nicht an Metaphysis. „Dein Vater lebt in Dir weiter“, sagt Mufasas Mutter. Das muss reichen.
Das „Prequel-Prinzip“
Dabei ist die Prequel-Mania äußerst lästig. Und das „Prequel-Prinzip“ feierte in diesem Jahr auch noch sein 25. Jubiläum. Möglicherweise war George Lucas‘ Idee, mit „Star Wars: Episode I“ 1999 die Vorgeschichte des Darth Vader zu zeigen, genauso einflussreich auf die Film- und Serienindustrie wie der erste Kinobeitrag der Saga von 1977.
Für die Studios liegt der Vorteil einer in der Vergangenheit liegenden Weitererzählung auf der Hand. Das Risiko, mit Prequels statt Sequels Flops zu landen, ist geringer. Das Prequel muss einer bereits im Kino erzählten, erfolgreichen, abgeschlossenen Geschichte lediglich zuarbeiten. Das Prequel-Ende ist auch definiert, denn es markiert gleichzeitig den Anfang der bereits etablierten, früheren Arbeit. Gleichzeitig kann das Prequel die reizvollsten Ereignisse, die in den bisherigen Filmen nur angesprochen wurden, endlich darstellen. Hier: Wie entstand die Feindschaft zwischen Scar und Mufasa? Wo kommt die Narbe her? Bei der Erschaffung einer Zukunfts-Geschichte wäre die erzählerische Herausforderung größer. Es wird dann eine neue Tür aufgestoßen. Eine neue Quest, neue Protagonisten, neue Antagonisten.
Besser als das Original
Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht Vorgänger, sondern nur Nachfolger ein Erbe beschmutzen können. Diese Gefahr besteht also auch bei „Mufasa: Der König der Löwen“ nicht. Dies aber ist der seltene Fall eines Prequels, das dem 1994er-Original nicht nur überlegen ist (und damit auch John Favreaus fotorealistischer „König der Löwen“-Verfilmung von 2019), sondern Film eins nicht mal benötigt.
Auch, wenn einige Fragen bestehen bleiben. Fragen, die natürlich vor allem Erwachsene stellen. Zum Beispiel: Warum fallen die (Raub-)Tiere nicht instinktiv übereinander her, sondern bilden Allianzen? Warum wollen sie die kleineren Tiere nur dann fressen, wenn sie ihnen mit ihrem Geplapper auf die Nerven gehen?
Den Charme der Zeichentrick-goes-3D-Charaktere können die fotorealistisch gerenderten Tiere auch nicht immer nachempfinden. Als Zeichentrickfiguren sehen Mufasa und Scar differenzierter aus, gerade ihre Mimik; so wird man sie wohl auch in Erinnerung behalten.
Aber das spielt keine Rolle. Barry Jenkins hat in „Mufasa: Der König der Löwen“ alles richtig gemacht. Er hat seine eigenen Themen untergebracht. Und hat trotzdem einen Disney-Film gedreht. Davon könnten andere lernen. Jetzt kann Jenkins mit diesem Konzern weiter arbeiten – oder zurück in den Schauspielerfilm.