Lauren Mayberry
„Vicious Creature“ – Kompromisslos
Universal (VÖ: 6.12.)
Schillerndes Solo-Debüt der Chvrches-Sängerin.
Lauren Mayberry hatte keine Lust mehr auf Kompromisse. Zwar gefiel ihr die Arbeit als Frontfrau von Chvrches, dem schottischen Indietronica-Trio, künstlerisch aber fühlte sie sich eingeschränkt. Sie begann aufrührerische Reflexionen über Sexualität und Female Empowerment zu komponieren. Songs, die sie nicht unbedingt mit ihren männlichen Bandkollegen teilen wollte. Um ihre neu entdeckte, wilde Seite ausleben zu können, brauchte sie Freiraum. Und so entstand „Vicious Creature“, ihr erstes Soloalbum, das das Wilde schon im Titel trägt. Wild ist auch die musikalische Mischung, die Songs changieren zwischen Tiefgang und Körperlichkeit, sind mal poppig, mal tanzbar, mal balladesk.
Die wilde Lauren Mayberry hat vielleicht genug von Nettigkeiten
„Are You Awake?“ etwa ist ein bezaubernd simples Liebeslied. „I miss the texture of your voice“, singt Mayberry glockenhell. Dazu erklingt ein getragenes Piano, bevor der Song von grell verzerrtem Krach verschlungen wird. Anderes erinnert an den Synthie-Pop ihrer Hauptband, nur mit kunstvollerer Ästhetik. In „Mantra“ windet sich Mayberrys Stimme um bedrohlich blubbernde Keyboards, dann brechen staubige Drums hervor. Die kargen musikalischen Landschaften passen gut zu Mayberrys unschuldigem, fast kindlichem Gesang.
Der fein austarierte Sound ist sicher das Verdienst von Greg Kurstin, der schon Adeles Welthit „Hello“ produzierte. Die wilde Genre-Mischung von „Vicious Creature“ glückt, jeder Song schillert chamäleonhaft in einer anderen Facette. „Crocodile Tears“ begräbt alle Nuancen unter einem starken Dance-Groove. Die Bongos trommeln, die Streicher schlagen Purzelbäume. So hat es in den Discos geklungen, als die Sugababes angesagt waren. Auch „Punch Drunk“ bittet mit elastischem Basslauf und kreischenden Gitarren zum Tanz. Und mit „Sunday Best“ gibt es sogar noch einen jubilierenden Gospel. „God bless destruction of an ego, the condemnation of your pride“, heißt es in dieser Zerlegung der toxischen Männlichkeit. Die wilde Lauren Mayberry hat vielleicht genug von Nettigkeiten. Aber man kann ja trotzdem eine gute Zeit haben.
Diese Review erschien im Rolling Stone Magazin 1/25.