Gayle Tufts: „Sie küssen Trumps Hintern, bis die Lippen orange sind“
Sie ist die Erfinderin des „Denglish“: Entertainerin Gayle Tufts über Trumps Regierungsmannschaft, die Gefahren für die Demokratie und den American Spirit
14 Tage nach der Wahl: Wie fühlst du dich?
Es sind Auf und Abs. Wobei die Aufs nicht sehr auf sind. Ich war kürzlich auf der Demo gegen Kulturkürzungen in Berlin und stand dort vor der amerikanischen Botschaft und habe geheult. Was ist da passiert? Matt Gaetz for Justizminister? Das ist ein Witz, das ist ein Affront, das ist so fucked up. Ich bin nicht nur traurig, weil Trump gewonnen hat, denn irgendwie hab ich damit gerechnet, aber dass er so haushoch gewonnen hat, ist immer noch schockierend.
Warum hat Kamala Harris so eindeutig verloren?
Außer der Tatsache, dass sie schwarz ist und eine Frau, lag es auch daran, dass sie viel über demokratische Prinzipien gesprochen hat, über Freiheit, Antifaschismus, Antisexismus. Das wollten die Leute nicht hören. Sie hatte kein Motto, kein „Make America Great Again“. Auch wenn das doof und verlogen ist – und ich mich frage: Hä? Welches Amerika meinst du und wie „great“ soll es sein? Wie in den 50er-Jahren mit getrennten Sitzplätzen für Schwarze und Weiße und den Frauen am Herd? Aber: Die Leute mögen es. Weil es einfach ist. Wir sehen es auch hier in Deutschland: Die Leute wollen einfache Antworten auf komplexe Fragen. Und die Demokraten hatten nicht mal ein Motto.
„Joy“ klingt wie eine Intimdusche für Frauen
Sie hatten bloß das Wort „Joy“.
„Joy“ klingt wie eine Intimdusche für Frauen. Ich hätte eher Patti Smith und „People Have The Power“ genommen. Oder „This Land Is Your Land“ oder Beyoncés „You Won’t Break My Soul”. Irgendetwas. Aber da war nichts. Kamala Harris hat gesprochen wie eine Politikerin, und die Amerikaner wollen das nicht mehr. Sie wollen eigentlich nichts über Politik hören, keinen 11-Punkte-Plan für die Wirtschaft, sie möchten hören, dass sie keine Steuern mehr zahlen müssen. Egal, ob es wahr ist oder nicht.
Hat es Dich überrascht, dass die starke und prominente Unterstützung durch die Popkultur ihr gar nicht geholfen hat?
Im Nachhinein denke ich, es hat ihr sogar geschadet. Die Leute sagten: „Ach, diese Celebrity-Culture! Really? Beyoncé and Taylor Swift and Gaga!? Puh!”
Too much of a good thing?
Ja, und alles Frauen. Sie hatte Taylor, Beyoncé und Gaga auf ihrer Seite, und Oprah und Michelle. Und er hatte weiße Männer, jung und hetero – und was glauben wir, welches Frauenbild da herrscht? Sie hat Beyoncé und er hat Kid Rock – und er hat gewonnen.
„Die Einstellungskriterien waren: Absolut keine Erfahrung auf ihrem Fachgebiet“
Jetzt hat Trump sehr schnell seine Regierung zusammengestellt. Welche Personalie schockiert dich am meisten? Es sind fast alles Männer.
Aber die Frauen sind nicht besser, nimm Kristi Noem, die künftige Heimatministerin. Die Einstellungskriterien waren: Absolut keine Erfahrung auf ihrem Fachgebiet, aber kissing his ass bis die Lippen orange sind. Oder Matt Gaetz als Justizminister, das ist ein Schlag ins Gesicht der liberalen Kultur, das ist ein Affront: Ich bin ein Sexualstraftäter, ich nominiere einen anderen Sexualstraftäter. Und der wird Justizminister. Das ist so krank und die pure Rache.
Am liberalen Amerika?
Und an seinen Kritikern: „Take this, New York Times! Take that Oprah Winfrey!” Rache ist fast eine zu poetische Formulierung. Das ist ein Schlag in die Fresse.
Was bedeutet Trumps Präsidentschaft für die Kultur in den USA?
Harte Zeiten. Es gibt sowieso schon nur sehr wenig öffentliche Unterstützung für Theater und Kunst. Es gibt sowieso schon einen Kulturkampf in den USA.
Wie äußert sich das?
Seit Monaten gibt es diesen Dreh in Richtung Country Music, alle müssen eine Country-Platte machen, zuletzt dieses Duett zwischen Bruno Mars und Lady Gaga – what the fuck, es klingt wie „Make MAGA happy again!“
„Ich gebe nicht auf“
Nun ja, Beyoncés Country-Album war doch aber ein echtes Statement, oder? Make Country black again.
Nichts gegen Beyoncé! Außerdem kommt sie aus Houston, das ist okay. Was mich stört und was ich meine ist diese Bro-Culture. Diese sehr hetero, sehr junge, sehr frauenfeindliche Männerkultur. Die haben Porno mit der Muttermilch aufgesogen. Die haben ein alles andere als gesundes Geschlechterbild.
Wie erlebst du das?
Ich komme aus einer Arbeiterfamilie aus Brockton in Massachusetts, einer ehemaligen Industriestadt, die heute die gleichen Probleme hat wie ehemalige Industriestädtchen in Deutschland. Bergbau, Werften, Autoindustrie – viele Jobs gingen verloren. Migration, Rassismus, Sexismus – alles große Probleme, auch hier, aber in Amerika noch einmal viel größer. Doch die Kultur in Amerika wird nicht sterben wegen dieser Wahl. Ich gebe nicht auf.
Was hilft dir dabei?
In den ersten drei Tagen nach der Wahl hab ich nur Bruce Springsteen, Patti Smith und Aretha Franklin gehört, um meine Seele zusammenzuhalten. Es gibt immer noch die andere Seite von Amerika. Man muss nur jeden Tag Jon Stewart oder Stephen Colbert schauen.
Wie gehst du als Comedian mit der Situation um?
Gottseidank definiere ich mich nicht als Comedian, sondern als Entertainerin. Bei mir ist Musik dabei und Musik hilft sehr. Aber klar, man kann Satire machen, wobei die Wirklichkeit ja wie Satire ist, und du immer denkst: „Das darf nicht wahr sein!“ Wir müssen das widerspiegeln.
Müssen wir Angst vor Amerika haben?
Ja (lacht) Fragezeichen! You know, Amerika ist nicht eine Einheit. Es ist wie die United States of Europe. Auch wenn die meisten Leute Trump gewählt haben, wenn sie überhaupt gewählt haben. Die Wahlbeteiligung lag bei 61 Prozent.
„Blow it all up!“ Ein Nihilismus, der mir Sorge macht
Und die anderen 40 Prozent?
In Deutschland heißt es immer, die Amerikaner sind so oberflächlich, so nett, so „How you doing?“ Das stimmt, sie umarmen dich sofort. Aber es gibt auch Missgunst, Sozialneid – und bei den 40%, die nicht gewählt haben, ein „Fuck you! Blow it all up!“ Ein Nihilismus also, der mir Sorge macht. Denn weder der Planet noch wir haben Zeit für Nihilismus. Die positive Seite des Punk wäre jetzt nötig, nicht die destruktive. Wir können nicht alle bloß kiffen und HipHop hören.
Auch in Europa wird die radikale Rechte immer stärker. Wird Trumps Sieg das befeuern? Wie wird sich das Verhältnis zwischen den USA und Europa verändern?
Wirtschaftlich wird es eng werden. Aber die Deutschen reisen noch immer gern an alle amerikanischen Orte, an denen ich nie war. „Oh, wir fahren jedes Jahr nach Florida!“ Really? Immer noch? Aber klar, es ist ein schönes Land. Und die Leute dort sind freundlich. Es ist wichtig, in Kontakt zu bleiben.
Und Du selbst?
Ich werde weiterhin meine Familie in den USA besuchen. We are a Rolling Stone family: Meine Schwester ist 72 und hat damals das erste Rolling-Stone-Heft nach Hause gebracht. Sie ist jahrzehntelang für Bürger- und Frauenrechte auf die Straße gegangen. Jetzt hat sie sich ein Tiny House auf Nova Scotia in Kanada gekauft. Mein Bruder ist ein CSN&Y hörender Barkeeper, er ist Demokrat und seine Basketball-Buddies haben Trump gewählt. Sie sprechen einfach nicht darüber.
Man hört jetzt häufig von amerikanischen Freunden, dass sie ernsthaft darüber nachdenken, nach Kanada auszuwandern.
Meine Schwester lebt in New Orleans, aber sie hat eine Bleibe in Kanada.
Und Du?
Ich gebe nicht auf an den American Spirit zu glauben. Und ich glaube, es wird eine Menge guter Musik in der nächsten Zeit dabei herauskommen. People have the power.
Gayle Tufts ist auf Tour: 27.11. Bochum (Schauspielhaus), 28./29. 11. Potsdam (Filmpark Babelsberg), 30.11. Düsseldorf (Savoy Theater), 5./6./13. 12. Potsdam (Filmpark Babelsberg)