Verteidigung von The Cure

„Songs of a Lost World“ – ein Meisterwerk

Es ist eine Klage gegen die Existenz, eine Kathedrale des Weltschmerzes.

Zum ersten Mal hörte ich diese Songs in einem Raum, den man früher Redaktionsstube nannte. Die Stube ist ganz schön groß, und es tönte aus der anderen Ecke. Ich hörte Reminiszenzen, Deja-vus, ich hörte die Londoner Philharmoniker und Mozart, „A Forest“ und „Prayers For Rain“, ja die ganze Geschichte von The Cure zog an mir vorbei.

Ich wollte keine Platte mehr von The Cure. „4:13 Dream“ vor 16 Jahren war keine Enttäuschung – ich hatte das Album gar nicht als Cure-Platte wahrgenommen. Man LEBTE ja mit Cure-Platten, und die letzte Cure-Platte, mit der ich lebte, war „Bloodflowers“. Das war im Jahr 2000.

Dieses Album gefiel manchem nicht, aber als es laut Robert Smith Teil einer Trilogie wurde, die „Pornography“ und „Disintegration“ umfasst, wurde es akzeptiert. Und Smith spielte die drei Platten im Konzert lange als „Trilogy“. Ja, er hörte gar nicht mehr auf, „Trilogy“ zu spielen und die alten Songs.

King Lear unseres Schmerzes

Irgendwann in der Zeit zwischen „4:13 Dream“ und dem neuen Album war ich bei einem Festival. The Cure traten als letzte Band auf. Es dämmerte, und das Feld vor der Bühne wurde schwarz. Alle Zuschauer waren zusammengeströmt. Es schauderte mich wohlig, noch bevor Robert Smith die Bühne betreten hatte.

Robert Smith hat heute etwas Heiligmäßiges. Er war Puck, der Troll aus dem „Sommernachtstraum“, und jetzt ist er der King Lear unseres Schmerzes. „Songs Of A Lost World“ ist ein romantischer Traum vom Verschwinden, vom Betrachten des Mondes, vom Vergehen der Zeit. „Alone“: Wir hören die charakteristischen Keyboards, ein kleines Piano-Motiv, die kratzende Gitarre. Da ist etwas wie ein Tschilpen von Vögeln oder ein fernes Bellen von Hunden. Vielleicht ist es das Geräusch des Weltalls, vielleicht ist es der Untergang einer Welt.

Und dann, nach Minuten, setzt die Stimme ein, die einzigartig weinende: „This is the end of every song we sing/ We were always sure that we would never change/ And it all stops/ Wе were always sure that wе would stay the same/ But it all stops/ Where did it go?“

Die Trommeln auf dieser Platte sind unglaublich wuchtig und statisch

Nicht alles auf „Songs Of A Lost World” ist so majestätisch, so groß und wunderschön. Aber es ist dann doch ziemlich majestätisch, groß und wunderschön. Reeves Gabrels schießt Gitarrenriffs in den etwas kitschigen Orchesterklang von „And Nothing Is Forever“. Die Trommeln auf dieser Platte sind unglaublich wuchtig und statisch. Ja, vielleicht fehlt der kregle Bass so vieler wunderbarer Pop-Songs der Cure.

Aber Robert Smith ist nicht mehr kregel.

Das letzte Stück heißt „Endsong“, es ist zehn Minuten lang, es könnten zehn Stunden sein. Es beginnt mit einem Keyboard-Motiv und Marschtrommeln. Dann kommt Robert Smith‘ flinke Gitarre hinzu. Auf die Bühne sieht sie klein wie eine Mandoline aus. Die süße Melodie verändert sich, wird dringlicher, die Trommeln bleiben, werden schneller, die Gitarre wird schärfer.

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Nach fünf Minuten erhebt Robert Smith die Stimme: „I’m outside in the dark, staring at the blood red moon/ Remembering all the hopes and dreams I had/ Wondering how I got so old/ It’s all gone, it’s all gone/ I don’t belong here anymore/ I will lose myself in time/ It won’t be long/ Left alone with nothing/ The end of every song.”

Es ist eine Klage gegen die Existenz, eine Kathedrale des Weltschmerzes. Kein Gott wird helfen.

Das letzte Wort ist „Nothing“.