Die besten Songwriter aller Zeiten (33): Merle Haggard
„Eigentlich bin ich eher der Chuck Berry-Typ. Ich liebe Fats Domino genauso wie Hank Williams oder Lefty Frizzell.“
Hag, du bist der Typ, den die Leute in mir zu sehen glauben“, sagte Johnny Cash einmal zu seinem unkonventionellen Country-Kollegen. Merle Haggard lebte ein Leben, das mit seinen Songs tatsächlich erstaunlich deckungsgleich war. Insgesamt 38 Mal belegte er Platz eins der US-Country-Charts. Und lieferte dabei Klassiker wie „Okie From Muskogee“, „Mama Tried“ und „Sing Me Back Home“, die Autobiografisches mit dem Honkytonk eines Lefty Frizzell oder Hank Williams kombinierten.
„Manchmal kamen die Songs so schnell, dass ich mit dem Schreiben gar nicht mehr nachkam“, sagte er 2010 dem Magazin American Songwriter. „Und manchmal tun sie das auch heute noch.“ Der arbeitswütige Haggard, der einmal acht Alben innerhalb von drei Jahren veröffentlichte, bediente mit seiner Hippie-Schelte „Okie From Muscogee“ zwar die erzkonservative Redneck-Klientel. Aber er beeinflusste gleichzeitig aber auch Rock-Meilensteine wie „Workingman’s Dead“ von Grateful Dead oder „Beggars Banquet“ von den Rolling Stones.
Merle Haggard & Willie Nelson: „Okie from Muskogee“:
ROLLING-STONE-Autor Frank Castenholz über Haggard:
Sich selbst sah er als Rock’n’Roller. „Ich mache Country, weil ich in diesem Umfeld nun mal aufwuchs“, sagte er dem ROLLING STONE. „Aber eigentlich bin ich eher der Chuck Berry-Typ. Ich liebe Fats Domino genauso wie Hank Williams oder Lefty Frizzell.“
Jetzt ist es an Willie Nelson, die Fackel weiterzutragen
Zwar trat Haggard für Nixon und Reagan auf, doch ließ er sich auch politisch ungern eingemeinden. Mit dem Song „Irma Jackson“ über die unerfüllte Liebe eines Weißen zu einer Schwarzen verstörte er so manchen erzkonservativen Fan. Und eine seiner widersprüchlichen Exegesen zur Redneck-Hymne „Okie from Muskogee“ lautete: „Son, the only place I don’t smoke is Muskogee.“ So war Hag der einzige echte Ganove unter all den bärtigen Hippie-Rebellen, die sich in den 70ern dem Nashville-Mainstream widersetzten.
Noch heute wird in den Clubs von Texas bis ins hippe Brooklyn, überall wo auf der Bühne oder aus der Jukebox traditioneller Country schallt, spürbar, wie unermesslich sein Einfluss auf das ist, was im weitesten Sinne zum Americana zählt. Bis zuletzt stand Haggard zusammen mit seiner (fünften) Frau, zwei seiner Söhne und seinen Strangers auf der Bühne: etwas wacklig auf den Beinen und kurzatmig, aber konzentriert und immer noch mit dieser einzigartig raureifen, honigmilden Stimme gesegnet. Weitere Tourdates für den Sommer waren bereits angekündigt. Doch seinen Lungen ging am Tag seines 79. Geburtstags der Atem aus.
Jetzt ist es an Willie Nelson, Hags ungleichem Bruder und langem Lebensfreund, die Fackel der „Last of the Breed“ noch lange weiterzutragen.