Grunge-Ikone und Poet: Leben und Tod von Mark Lanegan
Mark Lanegan war eine Ausnahmegestalt der Seattle-Szene – und sah Isolation als Geisteshaltung.
Seine sonore Baritonstimme, seine düsteren, poetischen Texte, seine imposante Gestalt: Mark Lanegan ist eine Ausnahmegestalt im Fahrwasser der Grunge-beziehungsweise Seattle-Szene der 1990er-Jahre. Wir erinnern uns an das Leben, Werk und den Tod des Musikers.
Auch wenn er mit den Screaming Trees eine Art Proto-Grunge-Musiker war, kann man Mark Lanegan eher als großen, US-amerikanischen Geschichtenerzähler im Geiste von Tom Waits oder Leonard Cohen sehen. Lanegan wurde Anfang der 2000er-Jahre einer damals neuen, jüngeren Generation als Mitglied von Queens Of The Stone Age bekannt; alle anderen erinnern sich natürlich zu allererst an seine prägende Band Screaming Trees und seine grandiose Solokarriere.
„Isolation als Geisteshaltung“
Mark William Lanegan wurde am 25. November 1964 in Ellensburg im US-Bundesstaat Washington geboren – einer kleinen Stadt knapp 170 Kilometer südöstlich von Seattle, deren Gefühl der Isolation wohl prägend für den Vibe seiner Musik sein sollte, wie er sich in einem Interview mit „Hot Press“ erinnerte: „Das ist die Art von Ort, aus der wir kommen, ein kleines Tal mit Landwirtschaft, Holzfällerei und Viehzucht. Wissen Sie, ich habe lange in Städten gelebt, aber letzte Woche habe ich in den Wäldern nördlich von San Francisco gearbeitet und bekam einen schlimmen Hüttenkoller. Ich musste zurück in die Stadt. Ich schätze, diese Isolation ist eine Art Geisteshaltung.“
Mark Lanegan gründete 1984 gemeinsam mit Van Conner, Gary Lee Conner und Mark Pickerel die Band Screaming Trees. Zunächst nahm er noch den Platz an den Drums ein, wurde aber schon bald zum Sänger befördert. Die erste EP der Band, „Other Worlds“, erschien 1986. Im selben Jahr brachte die Band auch das Debütalbum „Clairvoyance“ auf den Markt. Major Labels hatten schon bald Interesse angemeldet, Lanegan & Co. entschieden sich jedoch für das Indie-Label Velvetone Records.
Mark Lanegan: Erfolg mit der Band und Soloschaffen
Es sollte jedoch bis 1992 dauern, bis die Mark Lanegan & Co. ihren Durchbruch feierten: Da erschien „Sweet Oblivion“, das einige Hitsingles hervorbrachte. Das hatte die Band unter anderem dem Kultfilm „Singles“ von Regisseur Cameron Crowe zu verdanken, in dem der Song „Nearly Lost You“ vertreten war. Zum ersten Mal erzielte die Band auch außerhalb der USA kleine Charterfolge.
Als das passierte, hatte Mark Lanegan bereits sein Debütalbum veröffentlicht: „The Winding Sheet“ erschien 1990 auf dem Label Sub Pop. Dave Grohl nannte das Album einmal „eines der besten Alben aller Zeiten“ und erklärte, es hätte einen großen Einfluss auf Nirvanas legendäre „MTV Unplugged“-Performance gehabt. „Oh Mann, ist das eine schöne Platte. Es ist eine akustische, gefühlvolle Sonntagmorgen-Blues-Platte. Der Typ hat so viel Seele und die schönste Stimme. Du stellst dir vor, so würde dein Herz klingen, wenn es singen könnte. Es ist so verdammt schön. Dieses Album kam heraus, kurz nachdem ich nach Seattle gezogen war, und repräsentiert für mich diese ganze Zeit“, erinnerte sich Grohl gegenüber „Far Out Magazine“.
Überhaupt kam es mit Protagonisten der Grunge-Szene oft zu Kollaborationen: Mit Kurt Cobain nahm er ein Album mit Lead-Belly-Klassikern auf, das leider erscheinen sollte. Immerhin: „Where Did You Sleep Last Night“ aus diesen Sessions fand seinen Weg auf Lanegans Solo-Debüt; Kurt Cobain ist auf „Down in the Dark“ auch als Background-Sänger zu hören.
Mit Alice-in-Chains-Sänger Layne Staley und Pearl-Jam-Gitarrist Mike McCready spielte er in der Allstar-Band Mad Season. Soundgarden-Sänger Chris Cornell produzierte indes 1991 das Screaming-Trees-Album „Uncle Anesthesia“.
Tod seiner engen Freunde Layne Staley und Kurt Cobain
Lanegan musste in den 1990er-Jahren den Tod seiner beiden engen Freunde Cobain und Staley miterleben. „Layne war ein so wichtiger Teil meines Aufwachsens“, erinnerte sich Lanegan im Gespräch mit „The Telegraph“. „Er hat mir so viel über Empathie, Mitgefühl und Liebe beigebracht. Er lehrte mich viel darüber, ein besserer Mensch zu sein. Obwohl wir beide süchtig waren, war nur einer von uns ein beschissener Mensch, und das war ich. Ich liebe den Mann. Und es vergeht kein Tag, an dem ich nicht irgendwann an ihn denken muss.“
Über Cobains Tod erzählte er: „Ich weiß nicht, warum es in Seattle so viele Tote gab. Kurt hatte den Ruhm und das Eindringen in sein Privatleben, worauf er nicht vorbereitet war. Er war unglücklich, aber das habe ich nicht kommen sehen.“
Ende der Screaming Trees und Soloerfolge
2000 verkündete Lanegan, dass sich Screaming Trees auflösen. Die Gruppe war bei Fans und Kritikern sehr beliebt, den kommerziellen Erfolg und die globale Reichweite ihrer Seattle-Kollegen erreichte sie jedoch nie. Lanegan hatte zu diesem Zeitpunkt bereits vier Solowerke veröffentlicht und war nach Album Nummer zwei von Sub Pop zum britischen Indielabel Beggars Banquet gewechselt. 2006 veröffentlichte er sein erstes gemeinsames Album mit der schottischen Sängerin und Songwriterin Isobel Campbell – „Ballad Of The Broken Seas“ wurde für einen Mercury Prize nominiert. Lanegan und Isobel erreichten damit Chartplatzierungen auf der ganzen Welt.
Zwei weitere Longplayer brachte diese Zusammenarbeit hervor: „Sunday At Devil Dirt“ im Jahr 2008 sowie „Hawk“ im Jahr 2010. Auch mit dem britischen Multiinstrumentalisten Duke Garwood und Skeleton Joe gab es gemeinsame Musik. Nach dem Ende der Screaming Trees war er fünf Jahre lang Mitglied bei Queens Of The Stone Age – und ist auf den Alben „Songs For The Deaf“ und „Lullabies To Paralyze“ zu hören.
Alkohol- und Drogenprobleme
Lanegan, dessen Vater schwerer Alkoholiker war, kämpfte Zeit seines Lebens mit Alkohol und Drogen. Besonders eindrucksvoll beschrieb Lanegan das in seiner Autobiografie „Sing Backwards and Weep“. Bereits mit 12 Jahren sei er Alkoholiker gewesen, und zu seinem 18. Geburtstag war sein Strafregister bereits umfassend und beinhaltete Einbruch, Ladendiebstahl, Drogenbesitz, dutzende betrunkene Auftritte in der Öffentlichkeit, Vandalismus und Versicherungsbetrug, zitierte „The Guardian“. Neben dem Alkohol war auch Heroin omnipräsent. Dieses, so Lanegan, habe ihn „vor dem Tod an den Schrecken meines schweren Alkoholismus bewahrt“.
Mark Lanegans Tod
2020 erkrankte Mark Lanegan schwer an Covid-19 und fiel ins Koma. Diese Erfahrung verarbeitete er in seinem zweiten Buch „Devil in a Coma“ im Jahr 2021. Am 22. Februar 2022 machte die traurige Nachricht die Runde, dass Lanegan im Alter von 57 Jahren gestorben sei. Die Todesursache ist nicht bekannt – Lanegan war zu diesem Zeitpunkt bereits ein ganzes Jahrzehnt clean gewesen und hatte Drogen und Alkohol abgeschworen.
Screaming-Trees-Gitarrist Gary Lee Conner erklärte in einem Interview mit Guitar World: „Ich war wirklich überrascht, denn wir dachten immer, dass er uns alle überleben würde – vor allem, als ich hörte, dass er es durch den Covid geschafft hatte. Wir dachten, er würde jeden Moment vor 25 Jahren sterben, wegen all dem, was er getan hat. Aber er hatte so eine großartige Solokarriere, und ich habe seine Stimme immer sehr geliebt. Es war mir eine Ehre, ihn auf all den alten Songs singen zu lassen, die ich geschrieben hatte.“
Tribute-Konzert für Mark Lanegan
Drei Jahre nach seinem Tod gedenken viele von Lanegans Kollegen und Kolleginnen dem großen Sänger mit einem besonderen Event. Am 5. Dezember 2024 findet ein Tribute-Konzert im Londoner Roundhouse statt. Unter den Künstlern, die Lanegan ehren, sind Dave Gahan (Depeche Mode), Chrissie Hynde (The Pretenders), Josh Homme (Queens of the Stone Age), Bobby Gillespie (Primal Scream), Greg Dulli und Alison Mosshart. Auch Lanegans Projekt Soulsavers soll auftreten.