Parole Brandi: Schreie, Sex, Rauch und Tränen. Ein Mieterinnenleben
Unsere Kolumnistin ist in einem freistehenden Haus aufgewachsen. Das hat sie für ein Leben in einem Mietshaus verdorben
Irgendwo liegt eine ganze Kolumne zum Thema „Mietverhältnis“ herum, und ich kann sie nicht wiederfinden. Deswegen schreibe ich jetzt einfach eine neue.
Mieten zu müssen ist eine Zumutung. Bei genauerer Betrachtung ist es doch absurd, dass monatlich ein fester Betrag vom Preis einer Gibson Les Paul einfach nur zum Wohnen rausgeht und nicht etwa für ein Instrument.
Das ist das Eine, das Andere sind die Nachbar:innen, oder vielmehr: das Nachbarschaftsverhältnis. Denn es sind ja nicht zwangsläufig die Menschen, die einem Ärger machen. Gut, manchmal natürlich, aber das Schicksal hat die Wohnparzellen um mich herum immer mit absoluten Durchschnittstypen bevölkert, keine Dauermeckerer, aber auch keine neuen Freund:innen (ich gendere auch wie es mir passt, Sie sehen schon).
Das ganz normale Familienleben
Nee, was ich meine sind Dinge wie diese:
Unter mir wohnt eine Familie mit einem kleinen Schreihals. Ich finde die Familie ganz cool, also stört mich das Gekreische des Kleinen auch nicht, es passiert maximal zweimal am Tag, und sie kriegen ihn auch immer nach ein paar Minuten ruhig.
Um sich von ihrem Kind zu erholen, haben die beiden manchmal Geschlechtsverkehr, dass hier im Haus die Wände wackeln, was mich persönlich immer freut, endlich Pressure release, gut so, weiter so!
Die können also wegen mir so ziemlich machen, was sie wollen, ich mag diese Leute.
Nur eine Sache verdirbt mir regelmäßig die Laune: Die rauchen jeden Morgen auf ihrem Balkon und der Qualm zieht durch meine offene Küchentür zu mir, die versucht „bei frischer Luft“ Yoga zu machen und dann kurz in einem Kotzreiz unterbrechen muss, um doch die Tür zu schließen.
Hier wird mensch Zeuge eines interessanten Phänomens: Ich rauche auch ab und zu. Zugegeben, ich kann das tagelang lassen, aber in Berlin habe ich abends oft mit Freund:innen auf meinem Balkon gesessen und geraucht, bis uns die Hälse kratzten. Hat es mich geschert, ob das jemanden über mir stört? Null Komma Null ist die Antwort.
Tränen auf der Tastatur
Ich bin in einem freistehenden Haus aufgewachsen. In unserem Haus gab es ein altes Klavier und darauf musste ich jeden Nachmittag nach der Schule meinen Zorn über meine Mitschüler (gendern nicht nötig) in die Tasten hauen. Das hat mich fürs Leben versaut, denn jetzt fehlt mir diese Möglichkeit zu jeder Zeit.
Vor zwei Tagen hielt ich es nicht mehr aus und lief durch die Innenstadt bis zum hiesigen Klavierhaus. Dort zeigte mir ein greiser Verkäufer diverse, charmante Instrumente, eines rot, ein anderes braun, ein zuckersüßes, kleines, weißes Yamaha, mehrere schwarze Stutzflügel, die in meiner neuen Wohnung endlich auch Platz hätten, sogar mir „Silent“-Funktion, also irgendeinem Hokuspokus, der die Saiten abdämpft und den Hammerschlag an eine Art digitales Tonerzeugungs-System weitergibt. Das brachte mich schier zum Weinen. Aber nicht etwa aus Glück, sondern aus Frust.
Wir Pianist:innen sind aufgefordert, einen so eleganten Stutzflügel verschämt mit polsterigen Kopfhörern als verdammte MIDI-Tastatur zu spielen, um ja niemanden zu stören?
Die Antwort lautet: Jau, solange du in einem Mehrparteienhaus wohnst, ja.
Denn, ich will nicht der Zigarettenrauch in anderen Lungen sein und auch nicht der Lärm in anderen Ohren, das entwürdigt meiner bescheidenen Ansicht nach alle Beteiligten.
Freistehend in Dortmund
Ursprünglich bin ich aus Berlin abgehauen, um ein kleines, freistehendes Häuschen zu finden und es zu beziehen, damit ich endlich dieses Problem nicht mehr habe. Aber dieser Traum liegt noch in weiter Ferne. Das Ruhrgebiet, so sehr ich es auch heute liebe, hat das Problem der Überbevölkerung und es ist bisher einfach kein solches Gebäude in Sicht.
Sollte also jemand das hier lesen und mir, ob zur Miete oder nicht, ein solches Haus im Kreis Dortmund ohne Nachbar:innen verschaffen können, diese Person möge sich bei mir melden – es winkt ein doller Preis.
Herzlich, Brandi.