Wie Stanley Kubrick einst Stephen King aus dem Schlaf klingelte

Während der Dreharbeiten von „Shining“ rief der Regisseur - so sagt es eine Legende - den Horrorautor an und stellte ihm eine hochpersönliche Frage.

Die Geschichte von Stanley Kubricks Horror-Klassiker „Shining“ ist immer auch die einer leidenschaftlichen Hass-Beziehung, die der Schöpfer der Vorlage zu ihm hat. Stephen King machte nie einen Hehl daraus, dass er die gefeierte Roman-Adaption als gescheitert betrachte. Während der Dreharbeiten gab es allerdings regen Kontakt zwischen den beiden.

Eine der berühmtesten Anekdoten, die dazu existieren, handelt von einem nächtlichen Telefonat, bei dem Kubrick King aus dem Schlaf riss. Der Grund für diesen Anruf? Eine Frage, die so tief ging, dass sie den Kern ihres kreativen Streits fast mustergültig auf den Punkt bringt: „Glauben Sie an Gott?“

Kubrick, spätestens seit „Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ bekannt für seine Detailversessenheit, suchte während der Entstehung von „Shining“ nach einem eigenen Zugang zu der Geschichte. Stephen Kings gleichnamiger Roman aus dem Jahr 1977 erzählt von Jack Torrance, einem Schriftsteller, der sich mit seiner Familie als Hausmeister in das abgelegene Overlook-Hotel zurückzieht. Dort verfällt er dem Wahnsinn, als übernatürliche Mächte ihn in ihren Bann ziehen. Der Roman spielt mit der Idee von Gut und Böse sowie der Vorstellung, höheren Mächten ausgesetzt zu sein. Es ist eine zutiefst persönliche Geschichte Kings, in der er auch seine Schuldgefühle als Alkoholiker-Vater aufarbeitete.

In Kubricks „Shining“ zeigt Nicholson das vielleicht bekannteste Grinsen der Filmgeschichte.
In Kubricks „Shining“ zeigt Nicholson das vielleicht bekannteste Grinsen der Filmgeschichte

Kubrick fragte King: „Glauben Sie an Gott?“

Kubrick hingegen interessierte sich nicht wirklich für die mysteriöse Ebene der Handlung und wollte auch seine intellektuellen und oft zynische Perspektiven auf die Menschheit nicht für eine emotionale Gruselgeschichte hinter sich lassen. Seine Filme, ob „2001: Odyssee im Weltraum“ oder „Uhrwerk Orange“, stellen den Menschen philosophisch auf eine Anklagebank. In „Shining“ entschied sich der Regisseur, den Horror der Vorlage eher psychologisch anzugehen. Das Overlook-Hotel wurde zu einer Projektion der inneren Zerrissenheit von Jack Torrance. Im Buch ist die Figur Dreh- und Angelpunkt des Geschehens, im Film ist es das Hotel.

Diese Unterschiede in der Herangehensweise führten zu Reibungen zwischen Kubrick und King. Inmitten dieser kreativen Spannungen soll der Regisseur eines Nachts zu einem ungewöhnlichen Mittel gegriffen haben: Er rief Stephen King an, um zwei Uhr am Morgen. (Kubrick drehte seinen Film in England, King lebt seit jeher in Amerika; der Zeitunterschied schien dem akribischen Filmemacher nicht wichtig gewesen zu sein.)

Laut der Legende begann er das Gespräch ohne große Umschweife mit der Frage: „Glauben Sie an Gott?“ Stephen King, der für seine spirituellen Überzeugungen bekannt ist, antwortete zunächst vorsichtig, dass das eine große Frage sei – und schwierig zu beantworten, nachdem man gerade aufgewacht ist. Aber er bejahte. Daraufhin soll Kubrick dem Mythos nach gesagt haben: „Ich glaube, das erklärt, warum Sie das Shining anders verstehen als ich.“

Für King hatte das Übernatürliche in „Shining“ eine moralische Komponente: Das Hotel und seine Geister sind eine Manifestation des Bösen, und Jack Torrance wird von diesen Kräften angezogen. Für Kubrick hingegen lag der Schrecken der Geschichte in der Psyche des Menschen selbst, der in einer Welt ohne Gott lebt und das Grauen erlebt, wenn er der Tiefe seines Geistes näherkommt.

Wahrheit oder Mythos?

Ob dieses nächtliche Telefonat genau so stattgefunden hat, bleibt allerdings ungewiss. Es wurde zwar von einigen Personen im Umkreis von Stephen King bestätigt, darunter auch Mick Garris, der Regisseur, der „Shining“ für den Autor noch einmal fürs Fernsehen verfilmte, aber es gab weder eine Bestätigung dazu von King noch von Kubrick, der 1999 verstarb.

In späteren Interviews machte King aber deutlich, dass er den Film als kühl und distanziert empfand, während seine eigene Version stärker auf emotionale und spirituelle Aspekte abzielte. Kubricks „Shining“ sei für ihn wie „ein schöner, großer Cadillac, dem aber der Motor fehlt“. Kubrick wiederum zeigte sich fasziniert von der Mehrdeutigkeit der Geschichte, die es ihm ermöglichte, eine mustergültige Version eines Albtraums für die große Leinwand zu schaffen. Ihm ging es weniger um eine Horrorgeschichte als vielmehr um eine (symbolische) Geschichte des Horrors im Kino.

Movie Poster Image Art Getty Images
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