Bryan Ferry
„Retrospective: Selected Recordings 1973–2023“ – Auf dem Olymp der Eleganz
BMG (VÖ: 25.10.)
Exzellent kuratiertes Boxset mit vielen Highlights des brillanten Pop-Aristokraten.
Man muss sich gar nicht die Mühe machen und all die Coverversionen und Neubearbeitungen zählen, die sich auf diesem 81 Stücke umfassenden Karriereüberblick verstecken. Es sind sehr viele. Als Solokünstler war Bryan Ferry von Anfang an eher Interpret als Songschreiber. Einer von der alten Schule. Im Morgengrauen im Tuxedo am Pool, Smoke in den Augen, Nostalgie in der Luft. Einer, der sehr präzise den Unterschied erklären konnte zwischen Auftritten vor einem Black-Tie- und einem White-Tie-Publikum. Ein Bergarbeitersohn, der zum Pop-Aristokraten aufstieg.
Sein Solo-Debüt, das 1973 veröffentlichte „These Foolish Things“, bestückte er komplett mit Lieblingsliedern – von Beatles, Beach Boys, Dylan und Stones bis zu Smokey Robinson und Stevie Wonder –, damals noch präsentiert mit der schrillen Extravaganz von Roxy Music. Doch schon ein knappes Jahr später fand der Sänger seine wahre Bestimmung mit „Another Time, Another Place“. „Sultan of Suave“ nannte ihn die britische Presse nun. Doch auch hier stammte allein der Titelsong aus der Feder des Sängers, und die Musik blieb generell hinter dem Wagemut von Roxy Music zurück.
Ferrys Verehrung der alten Meister zieht sich durch seine gesamte Karriere, lässt sich aber auch als Beginn der Postmoderne im Pop lesen. Die guten Dinge waren ja alle noch da. Man konnte damit herumspielen, persönliche Noten setzen und sie mit verehrten Musikern neu aufführen. Alben wie „Boys And Girls“ waren besetzt mit Großkalibern wie David Gilmour, Mark Knopfler, Marcus Miller oder Nile Rodgers. Die Studiokosten stiegen ins Astronomische, die Produktionen dauerten mit unter Jahre, Selbstzweifel machten dem Künstler das Leben schwer. Aber auch nicht zu schwer – es gab ja auch noch die Frauen, die Jagd und überhaupt das gute Leben.
Ein würdiges Denkmal für eine der ganz großen Ikonen des Pop
Die Marke Bryan Ferry wurde über die Jahrzehnte immer stärker, populärer und eleganter, selbst wenn nicht alle Alben so makellos waren wie „Mamouna“ oder „Boys And Girls“. Doch seit der Jahrtausendwende ist Ferry wieder mutiger geworden, wenn es um das Schreiben neuer Songs geht. „You Can Dance“ vom gelungenen 2010er-Album „Olympia“ zeigt mit sinnlich treibenden Rhythmen und der lasziven, immer ein bisschen müde klingenden Stimme eines alten Vampirs, dass der Sänger in Clubs nach wie vor eine gute Figur abgibt. Sehr stimmig und passend ist auch die spätere Hinwendung zum Sound der Roaring Twenties mit „As Time Goes By“. Auf dem ähnlich swingenden „The Jazz Age“ gefällt sich Ferry nicht als Sänger, sondern als Komponist und Bandleader sei nes eigenen Orchesters. Baz Luhrmann verwendete die alten Roxy-Hits im Sound der Prohibition später in „The Great Gatsby“.
2014, bei einem Treffen anlässlich von „Avonmore“, dem bisher letzten Album mit neuen Songs, wurde deutlich, dass die Stimme des Sängers nicht mehr so weit trägt wie früher. Er sei erkältet, entschuldigte sich Ferry damals, doch die Veränderung zeigte sich auch in den Songs, etwa der Coverversion von Robert Palmers „Johnny And Mary“. Bei „Star“, dem einzigen neuen Song der Retropektive, ist die Stimme von Amelia Barratt stark in den Vordergrund gemischt, während Ferry dezent im Hintergrund bleibt. Trotzdem, tolles Dance-Stück, aufgepeppt durch die Skills von Trent Reznor und Atticus Ross an Programming und Bass. Anders als die meisten Soloalben enthält diese exzellent kuratierte Retrospektive nur wenig Überflüssiges, und das ist dann praktischerweise ganz hinten versteckt. Ein würdiges Denkmal für eine der ganz großen Ikonen des Pop.