Stephen Malkmus und The Hard Quartet: Die letzten Post-Rocker
Pavement-Sänger Stephen Malkmus hat mit einigen Indie-Veteranen das The Hard Quartet gegründet. Eine Supergroup für Slacker
Das überstrapazierte S-Wort ist unvermeidbar. Und Stephen Malkmus lacht. Aber nicht, weil er das S-Wort nicht mag. ROLLING STONE hatte die Frage einfach steif formuliert, stimmt leider. Wie eine Abfrage auf dem Amt – was einem gar nicht bewusst war: „Do you have to be of a certain age and reputation to be a member of a supergroup?“ – „Muss man ein bestimmtes Alter haben und einen Ruf genießen, bevor man als Mitglied einer Supergroup gilt?“
Malkmus zögert nicht: „Wer in einer Supergroup mitmacht, muss zweierlei vorweisen. Großartig sein. Und: super sein.“ Matt Sweeney ergänzt: „Es braucht nicht zwei, sondern vier Bedingungen. Man muss nämlich auch superhart sein. Und eben Teil einer echten Gruppe sein.“
Diese Supergroup heißt The Hard Quartet, und wer Indie-Plattensammlungen der 1990er- und 2000er-Jahre durchforstet, stößt auf Alben, bei denen mindestens einer dieser vier mitgewirkt hat: Stephen Malkmus, Kopf der Alternative-Helden Pavement; Matt Sweeney, Bassist und Gitarrist bei Chavez, Cat Power und Johnny Cash; Emmett Kelly, Wingman bei Will Oldham und Ty Segall und Chef der Cairo Gang; sowie Jim White, Drummer bei Dirty Three und Kreativpartner von PJ Harvey und Smog.
Eine goldene History
Malkmus ist 58, Sweeney 55, White 62, nur Kellys Alter ist unbekannt. Für The Hard Quartet gründeten sie Anfang August eine Instagram-Seite, die bereits 10.000 Follower verzeichnet, mit kumpeligen Postings aus dem Studio sowie Videos, in denen sie von Knetfiguren dargestellt werden. Als hätte es The Hard Quartet immer schon gegeben. Sie nutzen genau die „Tools“, die junge Musiker nutzen, um Aufmerksamkeit zu generieren und gleichzeitig eine goldene History zu fabrizieren.
Malkmus spinnt den „Supergroup“-Gedanken weiter. Für seinen verspielten Umgang mit Genre- und Projektbezeichnungen ist er bekannt. „Man muss nicht jung dafür sein. Blind Faith waren Mittzwanziger. Aber man assoziiert mit Supergroups den Classic Rock, die Travelling Wilburys.“ Sweeney unterbricht ihn: „Weiß denn irgendwer, der jünger ist als wir, überhaupt, was eine Supergroup ist?“.
Aber selbst wer blutjung ist und null Ahnung von Musikgeschichte hat, erkennt, dass sich mit dem Hard Quartet doch Veteranen in Stellung gebracht haben. Malkmus ist der hochgeschossene Denker mit ergrauter Emo-Tolle und mittlerweile so vielen Lachfalten, dass er bloß nicht mehr so tun möge, als wäre er der Pavement-Zyniker, der einst sang: „I’m tired of the best years of my life“. Sweeney ist ein hagerer Kahlkopf mit sympathischer Frontzahnlücke, sieht aber aus wie ein Auftragskiller aus einem Cormac-McCarthy-Roman, der in der Wüste jemanden verscharrt. In die gleiche Kerbe schlägt der Australier White, der sich in einem Ted-Kotcheff-Thriller über das Outback gut schlagen würde. Nur Emmett Kelly sieht aus wie ein Engel, also wie Paul Simon.
„Ah, die gute alte Studiomagie!“
Ihr Debütalbum, das denselben Namen wie die Band trägt, ist abgefuckter Lo-Fi-Indie. Im Sinne von: geil abgefuckt. Trotz des hohen Alters, trotz der Erfahrung, und trotz des hohen Anspruchs an sich selbst haben The Hard Quartet keinen hohen Anspruch an den Sound. Verstimmte Gitarren gehören zur Folklore des Garagenrock. Aber selbst das Schlagzeug ertönt so raschelig, als hätte Jim White vergessen irgendwelche Zettel von den Fellen runterzunehmen.
Sweeney: „Ah, die gute alte Studiomagie! Denn was ist Magie? Unsichtbare Arbeit, die ein unerwartetes „Wow“-Gefühl hervorruft. Die Leute sollen nicht denken, wir hätten hart geschuftet.“ Malkmus hat ein Vorbild, verweist auf David Bowies 1971er-Platte „Hunky Dory“: „Die klingt nicht wie Studioarbeit. Sondern so, als hätte Bowie für seine Freundin zu Hause auf dem Piano geklimpert, ein Tape mitlaufen lassen und dabei ‚Ja, und nun?‘ gerufen“.
Das auffälligste Hard-Quartet-Stück trägt einen jener typischen Malkmus-Deluxe-Titel, der Staatsdiener verhöhnt: „Action for Military Boys“. Es beinhaltet unmissverständlich politische Zeilen wie „The modern warfare for which we train is nothing like a fucking video game“, will sich aber, auch aufgrund von Tempowechseln, nicht zwischen Komödie und Drama entscheiden. Wer Malkmus nach dem Sinn fragt, erhält einen Einblick in dessen Bewusstseinsstrom.
„Teil eins des Songs ist wie DIY-Punk von Wire. Das Gefühl vom Ersten Weltkrieg. Rauch. Senfgas. Teil zwei ist wie der Falklandkrieg. Johnny Rotten. Buenos Aires. Der Erste Weltkrieg veränderte den Kurs der Geschichte. Der Falklandkrieg steht für die neoliberale Ära. Warum gerade dieser Krieg entstand? Wegen Handelsrouten für Schiffe.“ Man erfährt also viel, erfasst die Beziehung des Komponisten zum Lied, versteht die Erklärung aber nicht. Nichts jedoch, was einen Song deswegen schlechter macht.
Die Idee zum Hard Quartet entstand bei den Aufnahmen zu Malkmus‘ Album „Traditional Techniques“, bei dem Matt Sweeney mitwirkte. Es erschien 2020, darauf folgte Malkmus‘ längste Veröffentlichungspause. Die absehbar war. Das Folk-Album war sein drittes Werk in drei Jahren, er war produktiv wie nie gewesen, davor probierte er sich an Dance, inspiriert von seiner einstigen Wahlheimat Berlin („Groove Denied“), und davor nahm er klassischen Alternative-Rock mit seiner Band The Jicks auf, „Sparkle Hard“. Drei überzeugende Platten. Er hatte sich ausgesungen. Neue Leute mit eigenen Ideen mussten her.
Es gibt einen weiteren Berührungspunkt zwischen Malkmus und Sweeney: Zwan. Sweeney war Teil der Gruppe, die Billy Corgan 2002 nach dem Ende der Smashing Pumpkins gründete. Und zwischen Corgan und Stephen Malkmus war schon 1994 ein Disput entstanden, der heute, im Zeitalter der sozialen Medien, innerhalb von drei Tagen erhitzt werden und dann wieder abkühlen würde, in den analogen 1990er-Jahren jedoch, als Künstler nicht einfach die „Senden“-Taste für ihre direkte Wut-Antwort drücken konnten, weitergetragen und nicht gelöst wurde.
Malkmus und Corgan haben sich nie getroffen. Noch heute wird Corgan in Interviews wütend: „Pavement sind ihre eigene Coverband geworden – die Pumpkins schreiben weiterhin neue Stücke!“.
Aber worum ging’s? Der Streit „Pavement vs. Pumpkins“ war einzigartig, weil man das damals im Indierock-Lager nicht tat: sich dissen. Zwar nannte Kurt Cobain die Kollegen von Pearl Jam „Marionetten der Konzerne“, aber er verewigte seinen Spott nicht in Liedform, ließ das nicht als Mitsinghymne in Rille pressen – anders Malkmus, der in „Range Life“ die Pumpkins (und eine Strophe später die Stone Temple Pilots) verhöhnte: „Sie haben keine Funktion, ich verstehe nicht, was sie bedeuten, und es ist mir scheißegal“.
Das war gleichermaßen großartig wie unerhört. Die Rock-, Punk- und Grungebands der Frühneunziger hielten zusammen, 1991 war „The Year Punk Broke“, wie in der Sonic-Youth-Doku. Indie-Haltung meinte Distinktion, nur eben gegenüber den 1980er-Acts, von denen man froh war, sie hinter sich gelassen zu haben, den Hair Metal (Bon Jovi) und Sleaze (Guns N‘ Roses). Die Neunziger fühlten sich anders an. Pavement waren Peyote, Scheune, Portland, Gebrauchtwagen, Mathematik, und sie coverten R.E.M. Die Pumpkins waren nostalgischer, sie waren LSD, Disney, Schminke, Flying-V-Gitarre, Chicago, und sie coverten Iron Maiden.
Das „Post“-Präfix – ein ganz großes Ding
Beide kichern, Sweeney und Malkmus. Sweeney spricht zuerst: „Ich wollte mit Stephen über ‚Range Life‘ reden, seit ich den Song erstmals hörte. Aber als wir uns endlich kennenlernten, spielte er mir seine neuen Stücke vor … und Billy Corgan rückte in den Hintergrund.“ Kluge Antwort. Die noch klüger, geradezu rechtssicher wird: „Die Vergangenheit hatte keinen Einfluss auf das weitere Verfahren“. Nun Malkmus: „Hatten wir vorhin nicht über Supergroups geredet? Zwan war genau das: eine Supergroup.“
Dann kann Malkmus sein Lachen nicht mehr zurückhalten. „Zwan war eine Bande fantastischer Bassisten, Matt eingeschlossen, und einem Frontmann, der, well …“ Eine „Bande von Bassisten“ – ein vergiftetes Lob. Malkmus gibt die Einschätzung zu erkennen, dass Corgan bei der Zwan-Zusammenstellung auf Namen statt Nützlichkeit setzte, da Corgan eigentlich Gitarrenrock machen wollte, nicht Bassrock. Zwei Jahre nach Gründung waren Zwan Geschichte.
In den 1990er-Jahren, als die Musiker des späteren Hard Quartet ihre individuellen Laufbahnen begannen, war das „Post“-Präfix ein ganz großes Ding. Alles war „Post“. Post-Rock, Postmoderne, Björk nannte ein Album „Post“. So viel „Post“, dass keiner wusste, was die „Überwindung herkömmlicher Ausdrucksformen“ überhaupt bedeutet, und man schon zum Ende des Jahrzehnts genug von diesem Label hatte; spätestens das Internet hat die Gleichzeitigkeit aller Zeitformen in der Musik etabliert.
Pavement standen im Zentrum des Post-Rock. Mit dem Begriff möchte Malkmus nichts mehr anfangen müssen. „Pavement, meine Soloarbeiten … ich nenne das nicht mal Rock. Für mich ist das schlicht die Vereinigung von Gitarre, Bass, Schlagzeug. Rock braucht mich nicht, um verteidigt zu werden! Ich habe nur einen einzigen Anspruch: catchy sein. Die Leute sollen runter von der Couch, sich von Melodien angestachelt fühlen.“
Er wolle sich jedoch nicht aufdrängen. Wie sang er einst im Pavement-Hit „Shady Lane“? „You’ve been chosen as an extra in the movie adaptation of the sequel to your life.“ Auf den 15 Songs des Hard Quartet sind die Stimmen aller vier Musiker zu hören. Einen Boss gebe es nicht, betont Bowie-Fan Malkmus. Aber das hatte Bowie über eines seiner eigenen Quartette, Tin Machine, auch gesagt.
Malkmus‘ Mitstreiter Sweeney, Kelly und White erhalten mit dieser Band so viel Rampenlicht wie nie. Falls das Hard Quartet als Flop-Projekt rezipiert wird, würden sie aber nicht so tief fallen wie Malkmus, der nach dem finalen Pavement-Werk „Terror Twilight“ von 1999 noch 13 Alben veröffentlicht hat, ob solo oder in diversen Projekten, und sich seinen Ruf als kluger Songwriter erhalten hat.
Macht die Vergangenheit ihm Druck? „Mit solchen Fragen machen Sie mich paranoid! Aber im Ernst, was soll man tun? Jeder trägt seine Vergangenheit mit sich. Außerdem: Niemals mehr würde ich von Null anfangen wollen. Dann könnte ich mich doch jetzt nicht von ROLLING STONE interviewen lassen!“.
Zum Ende des Gesprächs kommt Malkmus also richtig in Fahrt. Als Matt Sweeney beim Gedanken zur schweren Planbarkeit von Karriereverläufen einen Vergleich zum Cricket zieht („Das Wichtigste ist der Pitch. Alles dreht sich um den Pitch. Danach muss man loslassen und sehen, wohin der Ball fliegt“) überfliegt Malkmus ihn mit dem Quatschangebot einer Analogie, bei deren Formulierung er lachen muss, weil sie so Forrest-Gump-philosophisch erscheint: „Es ist wie beim Angeln. Dem Fliegenfischen. Man kann die Fliege an der Angel befestigen und die Rute auswerfen – aber wird der Fisch auch zuschnappen?“
„Ich habe die Kontrolle über meine Songs abgegeben!“
Kommt wohl auf den Fisch an: Der auf Spotify meistgestreamte Pavement-Song ist nicht „Cut Your Hair“, sondern eine rumpelig swingende Single-B-Seite, „Harness Your Hopes“; für eine TikTok-Challenge wurde sogar ein Tanz erfunden. „Genau!“, sagt Malkmus. „Die Leute machen, was sie wollen. Ich habe die Kontrolle über meine Songs abgegeben!“.
Für das Zoom-Interview ist der Angler Malkmus tatsächlich vom See zugeschaltet, pralle Augustsonne im ländlichen Wisconsin, und er wolle noch Forellenfischen gehen. Wie der Schriftsteller Richard Brautigan? Nicht ganz. „Er war ‚Forellenfischen in Amerika‘, und zwar im Westen. Und ich? Nur im Mittleren Westen“.
Malkmus nimmt eine Ruhezeit vor der Tournee, die die vier Musiker 2025 auch nach Deutschland führen soll. Sie wollen ausschließlich ihr „Hard Quartet“-Material aufführen, keine „Klassiker aus dem Backkatalog“. „Keine Celebrity-Sets, kein Pavement!“, sagt Malkmus. „Das kommt erst, wenn wir es nach Las Vegas geschafft haben und dort eine einjährige Residency abhalten.“
Er erkundigt sich nach dem Leben in Berlin, wo er mit seiner Familie von 2011 bis 2014 wohnte. Seine Ehefrau, die Installationskünstlerin Jessica Jackson Hutchins, bezog dort ein Studio. Malkmus fand Berlin so halbwegs okay, und er sagte in einem Interview den leider zutreffenden Satz: „Die Leute dort denken nicht, dass es etwas Schlimmes ist, wenn man nur einen neutralen bis neutralen Minus-Ausdruck im Gesicht hat. Das bedeutet nicht, dass sie deprimiert sind – sie sind nur realistisch“.
Matt Sweeney merkt an, dass es in Berlin Schuhläden gebe, die auf Slipper spezialisiert seien, „und die sind alle grau und sehen links wie rechts gleich aus“. Er sagt das mit Begeisterung.
Stephen Malkmus nickt weise. „Was Du nicht weißt, Matt: Die Deutschen … sie tragen Hausschuhe. Alle. Das ist da eine richtig große Sache“. Malkmus‘ eigene F