Exklusiver Auszug aus Stefan Frommanns „The Best KISS Of My Life“

Stefan Frommann erzählt die Geschichten von 30 Kiss-Fans aus 16 Ländern. Lesen Sie hier einen Auszug

Mit „The Best KISS Of My Life“ (Köllen Druck + Verlag GmbH) hat Stefan Frommann ein Buch über seine Lieblingsband Kiss vorgelegt. Darin versammelt der Journalist die Geschichten von 30 Hardcore-Fans aus 16 Ländern.

Außerdem enthält „The Best KISS Of My Life“ Interviews mit Produzent Bob Ezrin; William Starkey, Erfinder der KISS Army; dem „Kiss Professor“ Jordi Ballera; Cheryl Rixon, seit 50 Jahren Freundin von Paul Stanley und Gene Simmons; sowie Paul-Stanley-Double Gil Garcia. Und nicht zuletzt ein Gespräch mit Tommy Thayer, dem Kiss-Gitarristen der jüngsten Generation.

Lesen Sie hier einen Auszug aus „The Best KISS Of My Life“.

Kapitel 2: Ein Treffen mit Beau Henderson (Rancho Cucamonga/USA)

Beau Henderson aus Rancho Cucamonga/Kalifornien ist ein KISS-Fan der ersten Stunde. Er ist Teil der Magie dieses neuen Musikphänomens aus New York City. Wenn er Geschichten aus den 70er-Jahren erzählt, hängen die Jüngeren an seinen Lippen. Besonders bei der Geschichte vom Magic Mountain. Der junge Beau erlebte dort ein ganz besonderes Konzert und wurde Teil des legendären Films „KISS meets the Phantom of the Park“.

Freitag, 19. Mai 1978, ein ganz normaler Tag für die meisten Menschen, ein ganz besonderer für die treuen Mitglieder der KISS-Army. Unter rund 7000 von ihnen würde es ein paar Glückliche geben, die Freikarten gewinnen für ihre Lieblings-Superhelden-Rockstars, für ein komplettes KISS-Konzert und einen Blick hinter die Kulissen bei den Dreharbeiten zu ihrem inzwischen zum Kult-Klassiker gewordenen KISS-Film.

„Ich erinnere mich, dass ich ein paar Tage lang stundenlang den lokalen Radiosender TEN-Q angerufen habe, immer und immer wieder, um durchzukommen, und das war noch zu Zeiten der Wählscheibe, wohlgemerkt“, lacht Beau Henderson. „Schließlich, nach ich weiß nicht wie vielen Anrufen, kam ich durch und hörte: Glückwunsch, Sie haben Karten für KISS gewonnen! Mein Finger war taub, aber ich war sooooo begeistert!

Los Angeles: Ace Frehley, Paul Stanley, Peter Criss, und Gene Simmons von KISS

Laut dem Brief, der den Tickets beilag, sollten die Dreharbeiten etwa 50 Meilen nordwestlich der Innenstadt von Los Angeles in einem Vergnügungspark in den Hügeln von Valencia, Kalifornien, stattfinden, der Magic Mountain hieß.

Ein paar Jahre später wurde er zu Six Flags Magic Mountain. Abgesehen davon und einem kurzen Satz über die Dreharbeiten war nicht viel über das, was man an diesem Abend dort erleben würden, bekannt, was die Kids erst richtig aufgeregt werden ließ.

Beau brachte seinen besten Freund Eddie und einen anderen Kumpel mit, der ebenfalls ein Ticket gewonnen hatte. Keiner von beiden hatte KISS zuvor in einem Konzert gesehen, anders als Beau. Er hat sie entsprechend vorbereitet, indem er ihnen einen detaillierten Bericht über sein erstes KISS-Konzert gab, nur ein paar Monate zuvor im August 1977 für die ALIVE II-Aufnahme im Fabulous Forum in Inglewood/Kalifornien.

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Einer der Jungs, die ihn begleiteten, hatte seine 35-mm-Kamera mit Zoomobjektiv für die Konzertaufnahmen dabei, während Beau seine kleine Kodak Instamatic mit ein paar Bildern auf der Rolle dabei hatte, damit er auch ein paar Fotos machen konnte. „Es gibt einen großen Unterschied in der Qualität. Na ja, zumindest habe ich dokumentiert, was ich konnte“, sagt Beau.

Es sind fast zwei Stunden bis Valencia, und Beau sagt, er kann sich an die Autofahrt nicht mehr erinnern. „Ich war im November des Vorjahres gerade 16 Jahre alt geworden, und es überrascht mich immer noch, dass meine Eltern mich die 150 Meilen hin und zurück fahren ließen. Ich bin mir fast sicher, dass ich vorher um Erlaubnis gefragt hatte…“ Wahrscheinlich haben die Jungs unterwegs viel KISS gehört und darüber geredet, wie unglaublich diese Nacht sein würde, vermutet Beau. Seltsam – er hat noch nie in seinem Leben getrunken oder geraucht und gar sich überhaupt nicht erklären, warum er keine lebhafteren Erinnerungen an ein so großartiges Erlebnis hat.

Aber wie bei den meisten Dingen im Leben, sagt er, weiß man erst Jahre später, welche Auswirkungen oder Bedeutung sie hatten, und irgendwann sind die meisten Details dann über die Jahre verblasst. „Ich erinnere mich an die pralle Sonne am späten Nachmittag, als wir auf den Parkplatz von Magic Mountain fuhren und dann, mit dem Ticket in der Hand, über den heißen Parkplatz liefen, um hineinzukommen“, erzählt Beau.

„Obwohl der Park für uns geöffnet war und wir bis zur Show kostenlos mit allen Fahrgeschäften fahren konnten, waren wir mehr daran interessiert, den bestmöglichen Platz für die Show zu ergattern, also machten wir uns auf den Weg zu dem Bereich, der offensichtlich der Konzertbereich war.“

Viele Leute haben die gleiche Idee, um einen guten Aussichtspunkt zu bekommen, und obwohl Beau und seine Freunde sich bis ganz nach vorne hätten drängeln können, entscheiden sie sich für einen Platz in der Mitte der Menge. Beau erkennt die Stelle noch heute sofort, wenn er sich Fotos von der Menschenmenge im Film ansieht. „Wir standen direkt vor dem großen KISS-Banner, das einige Leute hochhielten, und etwas rechts davon. Obwohl man unsere Gesichter nicht erkennen kann, weiß ich, dass wir genau dort waren, und es kitzelt mich, das zu sehen und zu denken: Ich war dort!“

Eine Gruppe von Leuten versammelt sich ganz rechts von der Bühne an einem Maschendrahtzaun, der errichtet worden war, um die Fans vom Backstage-Bereich fernzuhalten. Ab und zu kann man hören, wie meist Mädchen den Namen eines Bandmitglieds rufen, wenn sie einen kurzen Blick auf sie erhaschen können. Beau macht mit seiner kleinen Kamera ein Foto von Paul, wie er sich mit jemandem unterhält, während er durch den gesperrten Bereich geht, sagt aber: „Da niemand die Jungs zu diesem Zeitpunkt ohne ihr Make-up gesehen hatte, konnten wir nicht sicher sein, wer wer war. Das Bild ist scheiße, aber hey, ich habe es versucht.“

Es war eine magische Zeit in der Geschichte der Band. Das Geheimnis, die Mythologie und die Mystik, die hinter diesen scheinbar weltfremden Individuen steckten, waren zu dieser Zeit mit nichts anderem zu vergleichen. Auf ihren Plateauschuhen waren sie zum Teil weit über zwei Meter groß und taten Dinge, die unmöglich schienen, erzählt Beau. Er besitzt ein Paar der Dämonen-Drachen-Stiefel und trägt sie an Halloween beim Verteilen von Süßigkeiten. „Ich muss darin langsam und vorsichtig gehen, um nicht zu fallen und mir das Genick zu brechen!“ Er bewundert die vier dafür, wie darin rennen, springen und eine Treppe hinunter gelaufen kommen: „Das ist mir immer noch ein Rätsel“, sagt Beau.

„Jüngere Fans werden nie erfahren, wie aufregend es ist, ein neues Bild der Band in Magazinen wie CREEM und CIRCUS zu sehen“, sagt Beau. Jahrzehnte vor dem Internet waren Zeitschriften wie diese so ziemlich die einzige Möglichkeit, die Band, die Kostüme, die Bühne regelmäßig zu sehen.

„Wir verschlangen jede Geschichte und jedes Bild, das wir in unsere schmutzigen kleinen Hände bekamen.“ Fotos wurden sofort aus den Zeitschriften ausgeschnitten und an die Zimmerwände geklebt. „Die meisten von uns gestalteten ihre eigenen KISS-Tapeten aus Postern, Fotos, Postkarten und allem, was wir sonst noch finden konnten.“

Im Fernsehen waren KISS leider selten zu bestaunen. Es gab entweder das kitschige, aber liebenswerte ,Don Kirschner’s Rock Concert‘, in dem die Werbeclips der Plattenfirma als eine Art Vorläufer des Musikvideos gezeigt wurden. Oder Dick Clarks episches ,ABC in Concert‘, in dem die Bands tatsächlich live spielten. Diese Sendungen liefen leider sehr spät am Freitagabend, erst nach den Nachrichten und Johnny Carsons ,Tonight Show‘, also um 23.30 Uhr oder noch später. Aber Beau blieb treu wach, egal wie müde er war, um diese Geschöpfe der Nacht zu sehen. Unvergessen bleibt die allererste Ausstrahlung von KISS zur Hauptsendezeit im Fernsehen, es war der Auftritt im ,Paul Lynde Halloween Special‘. Margret Hamilton aus ,Der Zauberer von Oz‘ in ihrer kompletten Verkleidung als böse Hexe und Witchy-Poo aus der Samstagmorgen-Kindersendung ,Lidsville‘ von Sid & Marty Kroft waren auch dabei.

Es war so seltsam, diese Welten aufeinander prallen zu sehen. Beau verfolgte das zusammen mit seiner Mutter und musste sich von ihr Kommentare anhören wie: Warum streckt der Typ ständig seine Zunge heraus? Oder: Dieser Paul scheint nett zu sein. Oder: Ich mag das Lied, das der Katzentyp am Klavier gesungen hat. Beau sagt: „Diese seltenen Auftritte waren die einzige Möglichkeit, KISS zu sehen, und obwohl sie aufregend waren, verblassten sie im Vergleich zu einem echten KISS-Konzert völlig.“

Heutzutage haben wir durch Heimvideos und Online-Plattformen Zugang zu allen Auftritten. Wenn man sie damals im Fernsehen verpasst hatte, war es das, es gab keine Wiederholungen oder DVRs, die eine sofortige Wiedergabe ermöglichten. Damals hatten aus Kostengründen nur wenige einen Videorekorder. Beau hatte großes Glück, die damalige Freundin seines Bruders hatte ein BETA-Gerät, sie nahm den KISS-Film für ihn auf, als er zum ersten Mal ausgestrahlt wurde. Dumm nur: Leider hatten Beau und sein Bruder kein eigenes Gerät zum Abspielen, und der Bruder trennte sich kurz darauf von seiner Freundin. Also lag das Videotape nur dumm herum und wurde erst Jahre später auf VHS überspielt…

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Zurück zu Magic Mountain, wo es endlich dunkel wird. Beau und die anderen bekommen die Setlist der Love Gun Tour zu hören. Er ist genauso überwältigt wie beim ersten Konzert, er kann es sogar noch mehr genießen, weil es ihm vertraut vorkommt.

Die beleuchteten Treppen zu beiden Seiten von Peter Criss‘ massivem Schlagzeug, die Wände aus Verstärkern und Sam the Serpent, eine übergroße Schlange, die rechts neben Gene Wache hielt, ausgestattet mit einer Taschenlampe und Rauch, als sie am Ende von „Firehouse“ Feuer spuckt. Aces rauchende Gitarre und Pauls schwebende Plattform während „Love Gun“. Das epische Finale von „Black Diamond“ mit den Bandmitgliedern in der Luft, während um sie herum Bomben und Flammen explodieren, ähnlich wie auf dem atemberaubenden Klappbild im Inneren von Alive II.

All diese Dinge in Natura zu sehen, war ein Wunder, besonders in den späten Siebzigern, als die meisten Bands nur ein paar Lichter und (vielleicht) eine Nebelmaschine hatten. KISS waren ihrer Zeit weit voraus, und jede andere Band durfte sich seitdem ein Beispiel an ihnen nehmen, um bessere Konzerte zu veranstalten.

„In Magic Mountain bauten sie die Bühne auf dem Parkplatz direkt hinter der bald eröffneten und inzwischen legendären Holzachterbahn Colossus. „Wenn ihr euch das Video anschaut, seht ihr die Umrisse der Achterbahn hinter uns Fans und die Autos, die auf dem Interstate 5 Freeway hinter der Bühne vorbeifahren“, sagt Beau. „Ich kann mir vorstellen, dass sich die Leute gefragt haben, was um alles in der Welt an diesem Abend in Magic Mountain los war!“

Die Show war fantastisch und jedes Mitglied hat sich an diesem Abend selbst übertroffen. Nach dem Konzert sagten sie dem Publikum, dass sie eine kurze Pause einlegen würden, um sich neu zu schminken. Dann würden sie zu weiteren Dreharbeiten für den Film zurückkehren. Es war schon sehr spät, und einige gingen nach Hause. Auch Beau und seine Freunde haben darüber nachgedacht, ihre Fahrt würde schließlich lang werden. Doch dann begannen die Produzenten mit den Aufnahmen von der Menschenmenge.

„Das war der Moment unseres Ruhmes“, sagt Beau. „Sie wiesen uns an, uns wie ein wütender Mob zu verhalten, sie riefen „,Rip. Rip. Rip and destroy‘. So wie man es im Film sieht. Ich weiß noch, dass ich damals dachte: ,Das ist wirklich lahm‘. Aber hey, wir würden in einem Film mitspielen! Einem KISS-Film! Also haben wir mitgemacht und aus voller Kehle geschrien.“ Wer den Film kennt, der weiß, dass dieses Geschrei den falschen KISS im Film galt.

Nach den Publikumsaufnahmen kommt tatsächlich die Band noch einmal heraus. Sie drehen die Kampfszenen mit ihren Klonen. Das dauert alles unheimlich lange, und es fällt einem schwer, bei all den Kameras und vielen Menschen auf der Bühne ernsthaft etwas zu erkennen. Beau berichtet von einem ständigen Kommen und Gehen, die Bandmitglieder sind nur bei Bedarf dabei. „Da wir keine Ahnung hatten, worum es in dem Film überhaupt ging, wussten wir auch nicht, warum es von jedem KISS-Charakter zwei Typen gab“, sagt Beau. Die Aufnahmen ziehen sich so mühsam lange hin, dass die Jungs beschließen zu gehen.

Der Film wird später ganz sicher nicht das, was sich die Band – und auch die Fans – davon erhofft hatten. Er ist dennoch Teil der großen KISStory und hinterlässt bei Beau Henderson die Erinnerung an einen unvergessenen Tag. Heute hat der Grafikdesigner eine Frau, sechs Kinder und sechs Enkel. „Ach hätten doch damals nur schon alle Digitalkameras und Smartphones gehabt!“, jammert Beau heute.

Man stelle sich nur all die großartigen Bilder und Aufnahmen vor, die man hätte in den sozialen Medien teilen können. Zu seinem Freund mit der 35-mm-Kamera hat Beau keinen Kontakt mehr, die beiden kannten sich nur aus dem Schuljahr und der Freund zog danach weg. Beau fällt nicht einmal mehr der Name ein. Er lacht: Erinnerungen verblassen halt mit dem Alter. Bis auf die an KISS.

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