Kritik: „Joker: Folie à Deux“ – Einfach nur krank, Teil 2
„Joker: Folie à Deux“ ist ein Durcheinander an Entmystifizierungsdiagnosen, Kunstgriffen und schlechten Set Pieces
Die Rezension enthält Spoiler.
Wer sich in Comic-Hommagen der Versuchung einer Fantasy-Darstellung hartnäckig widersetzt, landet im schlimmsten Fall bei unfreiwilliger Komik. Daran litt schon Christopher Nolans „The Dark Knight“, und daran litt Todd Phillips „Joker“. Und daran leidet nun auch die Fortsetzung „Joker: Folie à Deux“.
In den Comics ist der Batman-Antagonist Joker das möglicherweise seit Jahrhunderten existierende, personifizierte Übel. Entstanden durch Unfallsturz in einen Behälter mit Chemikalien, weshalb seine Haut ausbleichte, seine Haare und Lippen sich verfärbten und sich die Gesichtszüge zu einem ewigen Grinsen verformten.
In Nolans „The Dark Knight“ ist er ein Mann mit der Entmystifizierungsdiagnose Paranoide Schizophrenie. Vermenschlicht.
Uninteressant. Tragisch.
Batman, nein: Die Welt misst sich also mit einem Menschen, der aufgrund seiner schweren Erkrankung ein Stück weit seiner Verbrechen entlastet wird. Ein bösartiger, getriebener Mensch, den Publikum wie Kritik dennoch so innig lieben, dass gleich zwei Joker-Schauspieler im Abstand von zehn Jahren mit einem Oscar prämiert wurden. Ein einzigartiger Vorgang in der Academy-Award-Geschichte, und das auch noch für die Darstellung einer Comicfigur.
Joker: Gestörtes Männlichkeitsempfinden
Regisseur Todd Phillips hat Druck verspürt. „Joker: Folie à Deux“ ist sein erster Film seit „Joker“. Der erschien vor fünf Jahren. Phillips hatte zuvor „Road Trip“ und „The Hangover“ gedreht. Er galt als Leichtgewicht. Er wird sich seit „Joker“ fragen, in welche Richtung seine Karriere gehen soll. Zurück zu den Billo-Komödien sicher nicht. Auch, wenn diese früheren Arbeiten genauso von gestörtem Männlichkeitsempfinden handeln wie die Saga des Arthur Fleck. In „Joker: Folie à Deux“ werden bei Fleck gleich vier Störungen diagnostiziert, die sechs Morde begründen sollen.
Die Musical-Darbietungen sind nicht mal das Schlimmste. Obwohl die Flucht in Träume, als auch die Flucht in durch Lieder ausgedrückte Meta-Ebenen, wie sonst nur Marvel sie mittlerweile zelebriert, äußerst angstvoll anmutet. Als würden sich Todd Phillips und sein Co-Autor Scott Silver einem Pflichtgefühl entziehen. An die Stelle von inhaltlicher Plausibilität, verantwortet von Regisseur und Autor, rückt die Aufforderung zur Interpretation, die der Zuschauer zu leisten habe.
Am Sujet Gerichtsdrama war schon „Ghostbusters 2“ gescheitert
Lady-Gaga-Songtexte auswendig lernen, nur um einen Film verstehen zu können? Da reicht ein Blick auf „Gremlins 2“. Auch das ist ein New-York-Film, der ab der ersten Tanz-Einlage der Monster keinen Sinn mehr ergibt. Abgesehen davon, dass Lady Gaga noch immer den Beweis schuldig bleibt, dass sie auch in Filmen gut sein kann, in denen sie nicht singt.
„Joker: Folie à Deux“ bietet ein heilloses Durcheinander an Entmystifizierungsdiagnosen, Kunstgriffen (warum wird die Rückblende auf „Joker“ als Cartoon erzählt?) und schlechtem Sequel-Setting. Es gibt wenig langweiligeres, anti-anarchistisches als ein Gerichtsdrama, um die Taten von Kriminellen zu „verhandeln“. Am Sujet Gerichtsdrama war schon „Ghostbusters 2“ gescheitert. Noch ein New-York-Film. Auch wenn Joaquin Phoenix wahrscheinlich nie besser gewesen ist als in den zehn Minuten, in denen er, sich selbst verteidigend, einen Atticus Finch aus der Psychiatrie verkörpert. Die Hände in der imaginären Westenuhrentasche, den Rücken durchgestreckt.
Die heilende Kraft des Gesangs
„Joker: Folie à Deux“ soll ein Film über die heilende Kraft des Gesangs sein. Das ist insofern lustig, als dass Jack Nicholsons Joker im „Batman“ von 1989 von der heilenden Kraft des Lachens schwärmte. Im Gefängnis lernt Arthur Fleck Mitinsassin Harley Quinn (Lady Gaga) kennen, sie verlieben sich ineinander. Man sieht Fleck die Stufen der Joker-Treppe in der Bronx diesmal nicht runtertanzen, sondern emporsteigen. Das soll –Achtung, Symbolismus – auch den Aufstieg in ein besseres Leben darstellen. „Wir sind perfekt, nicht krank“, sagt Quinn. „Wir bauen uns einen Berg!“. Wohl eher die Berge des Wahnsinns.
Lady Gagas im Jahr 2018 als spontaner Ausruf dargestellte, in Wirklichkeit straff auswendig gelernte und bei jeder Promo-Gelegenheit von ihr abgerufene Lobrede auf ihren „A Star is Born“-Regisseur Bradley Cooper („There could be 100 people in one room and 99 don’t believe in you and all it takes is one person to believe in you and that could change everything“) passt besser zu Harley Quinn als zur „A Star is Born“-Sängerin Ally Campana. Harley hat gewisse Anforderungen an einen Joker. Arthur Fleck wird das spät bemerken.
Noch im Gerichtssaal, wo über Todesstrafe oder lebenslänglich entschieden werden soll, ruft Fleck, nach Sokrates: „Ich bin frei!“. Zuvor spielte er den braven, taktisch handelnden Patienten, der sich mit „Ich habe eine Menge durchgemacht in meinem Leben“-Sätzen eine bessere Aussicht auf ein Unzurechnungsfähigkeits-Urteil erschleichen will. Oder erschleichen soll, wenn es nach seiner Anwältin (Catherine Keener) geht.
Wird Joaquin Phoenix ein weiteres Mal für einen Hauptdarsteller-Oscar in derselben Rolle nominiert? Oder war seine Christian-Bale-Diät nach „Beau is afraid“ umsonst?
Arthur Fleck ist das von den eigenen Eltern missbrauchte Kind. Was heißt es, krank zu sein? Und, ist das okay? Oder ist das nicht okay? Wie viel Verständnis darf man aufbringen für jemanden, der als Kranker das Gesetz bricht? Todd Phillips bezieht keine Position. Dann wäre es aber auch besser, den Joker einen Comic-Schurken sein zu lassen.
Doch, einmal bezieht Phillips Position. Ein Gefängniswärter (Brendan Gleeson) gibt einen Mord in Auftrag. Er wurde zuvor als „fetter Idiot“ bezeichnet. Wer deshalb ausrastet, ist anscheinend nicht ganz dicht.