Gunter Blank geht essen: Der Herr der Saucen
Bei der Zubereitung von Saucen gelten noch immer die Grundsätze von Auguste Escofer.
Schon Honoré de Balzac wusste: „Die Sauce ist der Triumph des Geschmacks in der Kochkunst.“ Tatsächlich schmeckt zu Fleisch, Gefügel und Fisch kaum etwas intensiver als eine gut reduzierte Sauce. Sie war das Beste am Sonntagsbraten, egal ob sie sich sanft um Spätzle und Knödel schmiegte oder eine ekstatische Verbindung mit dem Kartoffelpüree einging, stets drängte sie Fleisch und Gemüse in den Hintergrund.
Bei Kaninchen und Kalbsvögeln war sie eher Jus-artig transparent, beim Sauerbraten durch die Beigabe von zwei Scheiben Brot so sämig, dass sie fast Fäden zog. Eine solche Sauce braucht oft gar kein Fleisch mehr. Sollte beim Schmoren von Braten oder Gulasch zu viel Flüssigkeit entstanden sein, nicht einfach wild weiter reduzieren, sondern den überschüssigen Teil abschöpfen und am nächsten Tag etwas einkochen. Zu Fettuccine oder Pappardelle ergibt das, mit etwas Parmesan veredelt, eine herrliche, vollwertige Mahlzeit.
In den Neunzigern, als die Jungen Wilden kurz, aber nachhaltig die deutsche Kochkultur durcheinanderwirbelten, wetteiferten Jungspunde wie Kolja Kleeberg oder Markus Semmler darum, wer die höchste Reduktion zustande brachte – wem der Saucenspiegel nicht zerlief, selbst wenn man den Teller senkrecht stellte, der hatte gewonnen. Auch wenn heute nicht mehr ganz so exzessiv reduziert wird, zählt eine feine Glace, wie eine solche Reduktion auch genannt wird, mit zum Besten, was die klassische wie auch die avantgardistische Küche zu bieten haben.
Und jetzt im Herbst, wenn die Abende sowieso länger werden, lohnt es sich doppelt, bei der Zubereitung eines Festmahls für Familie oder Freunde Zeit und Sorgfalt auf die Zubereitung einer intensiv aromatischen Sauce zu legen.
Über 200 verschiedene Saucen
Wie man das macht, kann man immer noch beim Pionier der Haute Cuisine, Auguste Escofer, studieren. Drei Grundsaucen – Espagnole (dunkler Kalbsfond), Velouté (heller Kalbsfond), Béchamel (Milch, Sahne) –, ergänzt um Tomate und Hollandaise, hat der Begründer der modernen Küche in seinem 1903 erschienenen Standardwerk „Le Guide culinaire“ benannt. Aus diesen dreien leitete er weit über zweihundert weitere ab, allein drei Dutzend, die er eigens für seine Londoner Hotelküchen im Savoy und Carlton konzipierte.
Denn Escofer war nicht nur ein begnadeter Koch, sondern auch ein innovativer Entrepreneur – zusammen mit dem Schweizer Hotelier César Ritz erfand er das höchsten Komfort und höchsten Genuss versprechende Konzept des Grandhotels, mit dem sie erst in Monte Carlo und Luzern, dann in Paris und London, schließlich in Rom und New York Adel und Bourgeoisie gleichermaßen verzückten.
Immerhin achtundfünfzig hat Gorm-Wisweh in seiner Escofer-Hommage „Saucen“ zusammengestellt. Das Spektrum reicht von Klassikern wie Bordelaise und Pilzsauce bis zur eher selten anzutreffenden Whiskey-Pfefer-Sauce oder der Sauce américaine, die eigentlich aus der Bretagne stammt. Zwar hat der pfiffge Däne auch ein paar Salatsaucen daruntergemogelt, aber er legt wie der Meister das Hauptaugenmerk auf die Grundlage fast aller Saucen, die Fondzubereitung, die er ausführlich und präzise beschreibt.
Mehr Texte von Gunter Blank geht essen
- Das satte Gelb der Zitrone
- Autorin Alice Randall überzeugt auch als versierte Köchin
- Der Geist des Obstes
- Küche der Kindheit
- Risotto immer schön langsam kochen!
- Der Stolz Valencias
- Es gibt Reis, Baby!
- Wie man guten Pfeffer erkennt
- Wenn Popstars sich als Kochbuchautoren versuchen
- Adiós Pintxos?
- Die besten japanischen Cocktails
- Die perfekte Soundbegleitung fürs Kochen
Warum er bei der eigentlichen Saucenzubereitung allerdings gar zu oft auf Mehlschwitze und Mehlbutter insistiert, Zutaten, die in der Spitzenküche heute eher verpönt sind, weil das Endprodukt stumpf und schwer schmeckt, bleibt sein Geheimnis. Auf Auguste Escoffier kann er sich dabei nicht wirklich berufen. Zwar führt der in seinen Rezepten Mehl als Grundzutat tatsächlich noch auf, aber bereits im Vorwort erweist er sich als Visionär und prophezeit, es sei sehr wahrscheinlich, dass in kürzester Zeit das Mehl in der Schwitze durch die heute in absolut reinem Zustand erhältliche Stärke ersetzt werde.
Insofern führt, auch wenn viele Dogmatiker der französischen Küche das immer noch vehement bestreiten, eine gerade Linie von Escofer zur spanischen Avantgarde, die schlussendlich Mehl und Sahne in der Sauce abschafften und durch Agar-Agar ersetzten, das übrigens kein Molekularprodukt der Chemieindustrie ist, sondern aus veganen Algen gewonnen wird