Thin Lizzy

„1976“ – Sanft und Heavy

Universal (VÖ: 27.9.)

Ein imposantes Boxset porträtiert das Durchbruchsjahr von Phil Lynott und Co.

Thin Lizzy standen auf der Abschussliste. Das mit den Leadgitarren-Dioskuren Scott Gorham und Brian Robertson zur waschechten Hardrock-Band gereifte Quartett hatte sich durch forcierte Konzerttätigkeit zwar eine loyale Fanbasiserarbeitet, doch ihrem Label Vertigo fehlten die Hits. Die ersten beiden Versuche der neuen Formation, „Night­life“ und „Figh­ting“, waren kommerziell weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Das nächste Album musste zeigen, ob sie zu Höherem berufen waren. Es lag also kein geringer Druck auf der Band, als sie mit ihrem neuen Produzenten John Alcock im Januar 1976 die Ramport Studios bezogen, um „Jail­break“ einzuspielen. Die Stimmung war entsprechend mies. Robertson war unzufrieden, trank zu viel und verwandelte sich dann regelmäßig in einen Stinkstiefel.

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Es gab aber auch genügend Reibungsfläche. Robertson präferierte eine gewisse Unverfälschtheit und Ruppigkeit, Lynott hingegen nahm eine geschliffene Produktion gern in Kauf, wenn sie denn bloß einen Hit abwarf. Wegen „Run­ning Back“, der ursprünglichen Single-Auskopplung, bekamen sie sich richtig in die Haare, und der ranschmeißerischen Albumversion meint man Lynotts Angst vor dem letzten feuchten Händedruck des Labels tatsächlich anzuhören.

Ironischerweise wurde dann das harte „The Boys Are Back In Town“ ausgekoppelt, das brachte ihnen die nötige Top-Ten-Platzierung, die auch „Jail­break“ mit sich in die vorderen Charts-Regionen zog. Produzent Alcock hatte es gerade bei den Heavy-Nummern geschafft, die Gegensätze fruchtbar zu machen, also einen polierten Klang­rah­men zu etablieren, in dem sich die jungen Wilden an den Gitarren austoben konnten. Die zu ihrem Markenzeichen avancierten Twin-­Lead-­Harmonien entwickeln hier erstmals ihre volle Durchschlagskraft.

Das umfangreiche Boxset „1976“ würdigt das Durchbruchsjahr in der Thin-Lizzy-Karriere mit remasterten Alben und allerlei Bonusmaterial

Anschließend gingen Thin Lizzy für Monate auf US-Tour im Vorprogramm von Aero­smith, ZZ Top und Rush und überzeugten auf ganzer Linie. Ihre Abendgage verzehnfachte sich in kürzester Zeit. Sofort wurde eine neue US-Tour anberaumt, als Support von Rainbow, aber dann steckte sich ausgerechnet ihr Front­man mit infektiöser Hepatitis an. Um die Rekonvaleszenz zu nutzen, arbeitete Lynott vom Krankenbett aus an neuem Material, und Mitte August nahmen sie bereits das nächste Album auf. Einmal mehr war Alcock ihr Sonderbewacher in den Ramport Studios, und obwohl er angesichts der Eile einen Qualitätsverlust befürchtete, klingt „Johnny The Fox“ wie eine nahtlose Fortführung von „Jail­break“. Erneut punkteten Thin Lizzy mit ihrer unschlagbaren Mischung aus elegischer Sanftmut und Heaviness. Sogar einen weiteren Sin­gle-­Hit hatten sie im Gepäck: „Don’t Be­lieve A Word“.

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Das umfangreiche Boxset „1976“ würdigt das Durchbruchsjahr in der Thin-Lizzy-Karriere mit remasterten Alben und allerlei Bonusmaterial. Die gerade angesagten „Atmos-Remixe“ sind übergriffig und somit ein Sakrileg. Sie ergänzen Gitarrenspuren oder tauschen im Fall von „Jail­break“ sogar den klassischen Auftakt-Akkord durch eine dummdreiste Anmoderation, als wären Kunstwerke bloße Verfügungsmasse. Relevant sind die beiden CDs mit Out­takes, Demos, BBC-Sessions und Left­overs wie dem sehr schönen Instrumental „Brian’s Number“, das dann vielleicht in „Bor­der­line“ aufging. Überdies gibt es einen Konzertmitschnitt aus Cleve­land vom 11. Mai 1976, den der lokale Radiosender WMMS damals ins Programm nahm. Er offenbart eine glänzend eingespielte Vorgruppe, die sich und das Publikum aus der Reserve lockt. Wer sie hier gehört hatte, wusste, dass sie bald als Headliner da oben stehen würden.