Die 100 besten Musiker aller Zeiten: Roy Orbison – Essay von K.D. Lang
Er brach mit dem Tough-Guy-Schema der 50er-Jahre, und auch seine Musik klang für jemanden aus Wink, Texas, wie hohe Kunst. Sie erzählte auf eine geheimnisvoll weiche, romantische Art von der großen, weiten Welt.
Roy Orbison kam mir immer vor wie ein Baum: passiv und schön, aber extrem robust. Er war auf eine Art bescheiden, sensibel und sanft, die für seine Zeit ganz untypisch war. Nicht weibisch, aber sehr zart. Jemand, bei dem man sich total geborgen fühlte, ob man seine Platten hörte oder unmittelbar in seiner Nähe war.
Nicht wie bei Elvis, nicht mit feurig kreisenden Lenden oder so. Roys Gesellschaft war wie ein privater Rückzugsort, eine Zuflucht. Er brach mit dem Tough-Guy-Schema der 50er-Jahre, und auch seine Musik klang für jemanden aus Wink, Texas, wie hohe Kunst. Sie erzählte auf eine geheimnisvoll weiche, romantische Art von der großen, weiten Welt.
Roy Orbison war eine Art Folk-Tenor. Ich glaube, die spanische Oper hat ihn beeinflusst, ihr Stil, ihr Empfinden. Und er sang gern hoch, mit Kopfstimme. Er war verletzlich und stark zugleich. Immer ausgesprochen ernst, im Gesang wie im Auftreten, und doch umgab ihn dieser geheimnisvolle Schleier.
„Ich höre noch diese Stimme in meinem Ohr“
1987 nahmen Roy und ich für den Film „Inkognito“ eine Version von „Crying“ auf. In Vancouver, wo ich damals lebte. Ich kam ins Studio, und als ich ihn sah, war das, als wenn man dem riesigen Marlboro-Mann am Sunset Boulevard gegenübersteht – so unmittelbar ominös und präsent. Wir probten den Song mit der Band, und Roy und ich teilten uns ein Mikrofon. Als wir zu einer Stelle kamen, wo wir beide gleichzeitig sangen, beugten wir uns zum Mikrofon, und da berührten sich unsere Wangen.
Seine Wange war so weich, die Energie war gewaltig. Nicht sexuell, aber ganz explosiv, wie die Chemie einer großen Verbundenheit. Ich werde nie vergessen, wie sich das anfühlte. Ich höre noch diese Stimme in meinem Ohr. Sein Vibrato war schnell, mit einem kleinen Flattern darin, und das gab ihm diesen verletzlichen Sound. Diese grandiose Stimme.