Die 100 besten Musiker aller Zeiten: John Lennon – Essay von Lenny Kravitz
Die Ehrlichkeit der Musik machte mich zu seinem Fan – ich fand ihn noch besser als die Beatles.
Die Beatles liebte ich schon als Junge, aber auf den Solo-Lennon wurde ich erst aufmerksam, als ich mein erstes Album „Let Love Rule“ aufnahm. Mein zukünftiger Manager hörte sich die Demos meiner frühen Songs an und sagte: „Hast du schon mal John Lennons ,Plastic Ono Band‘ gehört? Deine Sachen klingen nämlich genauso.“
Also kaufte ich mir „Plastic Ono Band“ und hörte monatelang kaum etwas anderes. Ein monumentales, geniales Werk. Ich war überwältigt, wie minimal und wie expressiv diese Musik war. Lennon hatte gerade seine Urschreitherapie beendet und ließ einfach alles raus – den Verlust seiner Mutter, die Beatles, wer er war. John Lennon kam gerade aus der größten Band der Welt, und in der Position würden die meisten sagen: „Wie kann ich oben bleiben? Ich will von diesem Podest nicht runter.“ Ihm war das egal. Er zog sich fürs Cover von „Two Virgins“ splitternackt aus und ließ seinen Schwanz raushängen.
Auf „Plastic Ono Band“ war auch die Musik nackt. Lennon ging nur mit Bass, Gitarre und Schlagzeug ins Studio und machte eine ganz rohe Platte. Die Attitüde und die Emotionen dieses Albums sind härter und direkter als jeder Punkrock. Die Ehrlichkeit der Musik machte mich zu seinem Fan – ich fand ihn noch besser als die Beatles. Es inspirierte mich. Dadurch wollte ich auch in meinen eigenen Songs noch tiefer gehen.
Als Gitarrist hatte Lennon ein Wahnsinnsfeeling – daneben verblasst jede noch so ausgefuchste Fingerfertigkeit. Er war niemals ein Virtuose, kein Jimi Hendrix, aber wenn man sich die frühen Beatles-Platten anhört, da passieren richtig raffinierte Dinge zwischen ihm und George Harrison. Einer meiner liebsten Lennon-Tracks ist „How Do You Sleep?“ – die Gitarre ist unglaublich funky. Die meisten Leute haben inzwischen vergessen, dass Lennon „Fame“ mit David Bowie zusammen geschrieben hat. Er hatte eben auch eine echt coole und funky Seite.
Lennon war eine Ikone des Friedens. Davon gibt es heute leider nicht mehr viele
Wäre er heute noch da, würde er sich, glaube ich, für HipHop interessieren. Die Verbindung gegensätzlicher Kulturen hätte ihn wahrscheinlich gereizt. Lennon war viel mehr als nur ein Musiker, er war ein Prophet. Er machte seine politischen Ansichten deutlich, er wandte sich gegen Krieg und Gewalt, selbst wenn er dafür von der Regierung verfolgt und malträtiert wurde.
„Imagine“ ist für mich einer der größten Songs überhaupt, wie eine Kirchenhymne, und er macht unmissverständlich klar, woran Lennon glaubte. Vor allem war Lennon eine Ikone des Friedens. Davon gibt es heute leider nicht mehr viele.