Oasis oder Blur: Wer hat die größte Wiedervereinigung?

Der Vergleich mit den ewigen Britpop-Rivalen zeigt, wie das Konzertgeschäft im Superstar-Segment explodiert ist

Irgendwo da draußen muss es ein zentrales Kontrollzentrum zur Förderung von Live-Hysterie geben. Nach dem Mega-Rummel um Taylor Swift und Adele (die noch ihre München-Shows am 30./31. August spielt) runter gekocht ist, drohte eine große Leere.

Im anstehenden Herbst gibt es zwar tausende Konzerte und Tourneen, doch die scheinen dagegen irgendwie seltsam alltäglich zu sein. Besonders was die Außenwirkung betrifft. Normal halt. What’s Next, also?

Dabei stand das nächste große Ding bereits auf der Abschussrampe: Die Gebrüder Gallagher wollen nach ihrer komödienhaften Dauerfehde noch einmal ganz tief in den Goldtopf greifen. Und die Welle um vier Auftritte im heimischen Manchester und weiteren vier in Wembley, plus Cardiff und Edinburgh rollt weltweit bis hinein in die seriösen Nachrichtensendungen.

Der berüchtigte UK-Boulevard findet es kein Zufall, dass Noels Einstellung zu einer Reunion nach seiner Scheidung, die ihn angeblich 20 Millionen Pfund gekostet hat, „flexibler“ geworden ist. Auch dort ist von 400 Millionen Pfund Umsatz (rund 475 Millionen Euro) die Rede, die vorerst im Raume stehen. Die große Oasis-Nummer hat blitzschnell eine Eigendynamik bekommen, die nicht mehr einzufangen ist. „Kommen Oasis auch nach München?“ fragt vorlaut die dortige „Abendzeitung“. Die Dimension können durchaus noch weit größer werden.

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„Will an Oasis reunion be a success? Definitely. Will it be worth it? Maybe“ betitelte Alexis Petridis, der Musikchef der Londoner Tageszeitung „Guardian“, seine eher nüchterne Betrachtung mit einem Oasis-Debütalbum-Wortwitz. Er verweist auf ihr grandioses 10-jähriges im Shepherd’s Bush Empire („lange nachdem ihre Plattenproduktion abgeflaut war“) und eine „entsetzliche“ Show im Wembley-Stadion im Juli 2000, als Liam Gallagher völlig neben der Spur über die Bühne eierte. Ein weiterer Tiefpunkt dann vier Jahre später: „War 2004 das schlimmste Glastonbury aller Zeiten? Wenn man Oasis-Fan ist, auf jeden Fall!“ resümiert aus heutiger Perspektive der „Independent“.

Oasis: historische Diagnosen

Für die Stadionshows von Oasis sind diverse historische Diagnosen unterwegs. Man liest kennerhaft aus der Pop-Geschichte, was 2025 so bringen könnte. Eine Debatte, die unweigerlich auch zu Blur führt, ihre großen Konkurrenten der 1990er und darüberhinaus. Nordenglische Proletarier gegen Londoner Kunststudenten. Tiefsitzender musikalischer Konservatismus und Union Jack bepflasterte Parkas gegen intellektuelle Experimente. Und letztlich auch eine Spiegelung der Britpop-Bandsplits und Wiedervereinigungen.

Rückblick: Anfang Juli 2009 standen Blur nach einer Pause von zehn Jahren wieder in Originalbesetzung auf der Bühne. Nach einer dreiwöchigen Tour spielten sie in der Entertainment-Ecke des Hyde Park. Zweimal hintereinander mit je 55.000 Fans, die im Park die großen Hits wie „Parklife“ oder „Song 2“ ausgiebig feierten. Schon damals war Blurs Brit-Pop-Revue ein Riesending.

Die begleitende Greatest-Hits-Compilation „Midlife – A Beginner’s Guide To Blur“ wirkte da mit eingefügter Zeitleiste wie ein zusammengewürfelter Museumsführer durch ihr Werk. Das Banddebüt „Leisure“ und der zweite Golfkrieg, der Siegeszug des Internet und der Tod von Kurt Cobain, „Parklife“ und der folgende Britpop-Krieg bis hin zur Marslandung eines Blur-Stücks mit der Weltraum-Landeinheit „Beagle 2“. Wehmütig beschreiben allerlei Chronisten, wie die Massen mit „For Tomorrow“ glückselig in die Londoner Nacht entlassen wurden.

Natürlich wurden sofort die Vergleichsmaschine angeworfen, spielten doch Oasis wenige Tage später dreimal hintereinander in Wembley. „Obwohl Blur beim Glastonbury-Festival und bei ihren jüngsten Auftritten im Londoner Hyde Park wieder zu triumphaler Form aufliefen, erklärten die Statistiken der Musikindustrie diese Woche (8. Juli 2009) Oasis zum Sieger der langfristigen Britpop-Schlacht bei den Besucher- und Hörerzahlen“, notierte dazu der NME. Die Gallaghers wiederum verzofften sich beim „V-Fest“ im mittelenglischen Weston Park endgültig und sagten „Rock en Seine“ in Paris kurzerhand ab.

Oasis-Fan-Armee als „Parka-Äffchen“ mit Paul-Weller-Frisuren und Wallabee-Schuhwerk

Während Blur in allerlei Einzelteile zerfielen, von den Gorillas bis zu den Soloplatten von Gitarrist Graham Coxon, und sich auch wieder musikalisch zusammenrauften, gefiel sich Noel Gallagher darin, die große Oasis-Fan-Armee als „Parka-Äffchen“ mit Paul-Weller-Frisuren und Wallabee-Schuhwerk zu brandmarken. Besonders Blur-Mastermind Damon Albarn ging den Weg der Kunst, die Gallaghers pflegten durchaus amüsant ihr Erbe.

Die kurze Rückschau auf das Oasis/Blur-Jahr 2019 zeigt, wie sich die Live-Industrie seit damals im Superstar-Segment gewandelt hat. Die Solokonzerte von Noel Gallaghers High Flying Birds waren vielfach unaufgeregte Auftritte in mittelgroßen Hallen, die (weitgehend) ohne den Oasis-Mythos ausgekommen sind. Bruder Liam indes machte sich rar, fernab von Stadion-Dimensionen. Zuletzt aber bediente er die großen Retro-Gefühle des Cool Britannia, führte das Oasis-Debüt „Definitely Maybe“ live auf und holte dafür sogar Gründungsmitglied Bonehead auf die Bühne.

Nun ist eine gigantische Erinnerungs-Maschine angesprungen, eine Riesenwette auf einen halbwegs gelungenen Konzertabend.

Die UK-Kritik stellt fest, dass der künstlerische Erfolg auch davon abhängt, ob die Gallaghers glauben, dass sie 30 Jahre später noch etwas zu beweisen haben. „In einer Zeit, in der ihr Einfluss auf den aktuellen britischen Pop gleich Null geht“ („Guardian“).

Schon nach wenigen Tagen seit Veröffentlichung der Live-Termine scheint es aber nicht ziemlich nebensächlich, wie sie 2025 klingen werden. Geschäftlich ist es eine bombensichere Sache, künstlerisch bleibt ein mulmig-wohliges Gefühl der Ungewissheit. Schwer zu sagen, was in Wembley und anderswo passieren wird. Ein gigantisches Spektakel, das mit Musik nur noch am Rande zu tun hat.

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