Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Summer Of Pop
Wie ich über Taylor Swift und Phil Collins nachdachte und dabei AC/DC hörte.
Folge 271
Der Sommer war für Ihren Chronisten von allenfalls bescheidenem popkulturellen Erleuchtungswert. Lediglich drei Erkenntnisse konnte ich meinem wärmebedingt suboptimal arbeitenden Hirn abtrotzen. Erstens: Taylor Swift ist die Phil Collins ihrer Zeit. Daran ist nichts Schlechtes. Es erklärt mir allerdings, warum ich nicht allzu viel mit ihr anfangen kann.
Sie lässt mir aber auch keineswegs die Drüsen der Wissbegier schwellen oder so – es ist eine Art freundliches Desinteresse. Ich habe das oft bei Sachen, denen nicht zu entkommen ist, möglicherweise ein pubertärer Refex. Taylor Swift ist das dröhnende Jetzt auf Stelzen, das Hier und Heute zum Mitsingen – ganz so wie es Phil Collins in den 80er-Jahren war. Ich bin gespannt, wie ich Taylor Swift in 40 Jahren (also mit 94) finden werde, wenn ihre Persona und ihre Musik vom Malus der Omnipräsenz befreit sind.
Meiner Wertschätzung des einstigen Genesis-Musikers hat es jedenfalls enorm geholfen, dass er nicht mehr mit 47 Songs gleichzeitig in den Charts ist: Nachdem er mich mit seiner Allgegenwart in den 80er-Jahren mehr genervt hat als alle Lehrer in der Schule zusammen, mag ich ihn heute ganz gern. Ich habe mir neulich sogar sein Album „No Jacket Required“ gekauft, allerdings habe ich es bislang noch nie gehört.
Ich höre Phil Collins im Grunde nur, wenn ich mit dem Auto durch die Gegend fahre und mich dabei ertappe, anstelle von kulturbefissenen Öffi-Sendern verstärkt Stationen mit Best-of-Achtziger-Programm zu lauschen. Möglicherweise ein Anzeichen zunehmenden geistigen Verfalls. Mein Lieblingssender trägt den genialen Namen 80s80s, hier moderiert unter anderem ein Gentleman namens Torte. Allein das ist meines Erachtens Grund genug, regelmäßig einzuschalten.
Platten kaufen, die man schon gar nicht mehr sucht
Die zweite Erkenntnis ist für Opfer sinnloser Vinyl-Anhäufung nichts Neues: Die Freude an einer auf dem Flohmarkt gekauften Schallplatte wird gesteigert durch die Geschichte, die mit dem Erwerb verbunden ist. Unlängst fand ich in einer Drei-Euro-Kiste Stevie Wonders „In Square Circle“. Als ich dem Verkäufer das Geld in die Hand drücken wollte, sprach er mit schönstem polnischen Akzent: „Diese Mann hat immer hohe Telefonrechnung gehabt. Hat ständig angerufen, nur um zu sagen: I love you.“ Ich gab ihm fünf Euro und sagte: „Stimmt so.“
Den Rest des Tages über war ich von sonderbarer Heiterkeit erfüllt, ich schwang geradezu mit dem Kosmos. Dabei wollte ich die Stevie-Wonder-Platte gar nicht mehr so dringend haben. Irgendeine listige Schicksalsgöttin will es, dass ich auf Flohmärkten immer genau die Platten finde, die ich seit einiger Zeit nicht mehr suche. Aber wie umgehen mit solch einer existenziell komplexen Situation? Man kauft die Platte natürlich trotzdem, fühlt sich dabei seltsam schuldig und arbeitet damit in der heimischen Wohnung weiter dem statischen Super-GAU zu.
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Die dritte Erhellung: AC/DC sind am Ende doch die beste Rockband aller Zeiten. Vielleicht nicht die aktuelle Version, bei deren Stadionshows Menschen sich im Dunkeln glimmende Teufelshörner anziehen, aber die mit Bon Scott und den ersten beiden Brian-Johnson-Platten auf jeden Fall. Ich habe mir ihre frühen Platten während des Sommers wieder gekauft, und sie sind noch besser als damals, als ich zu ihnen in Ermangelung einer Gitarre auf einem Tennisschläger solierend durchs Kinderzimmer sprang.
So weit sind Taylor Swift und AC/DC ja auch gar nicht voneinander entfernt: Musikalisch beackern beide ein ähnlich überschaubares Terrain. Auch die leuchtenden Teufelshörner bei AC/DC und die leuchtenden Armbänder der Swifties sind natürlich letztlich dasselbe: Fetische der Konsolidierung, Totems des Pop. Die Trump-Anhänger haben mit dem Solidaritätsverband am Ohr etwas Ähnliches versucht, aber der hat nicht im Dunkeln geleuchtet.
Das also war mein Sommer in einer Nussschale: Ich habe auf dem Balkon gesessen, über Taylor Swift nachgedacht und dabei „Powerage“ von AC/DC gehört. Und dabei mit meinen rot blinkenden Teufelshörnern auf dem Kopf auf das Collins-Foto auf dem Innencover von „No Jacket Required“ gestarrt und nur noch einen Gedanken fassen können: Ich brauche genau diesen Anzug!