Kritik: Smashing Pumpkins in Berlin – Können’s nicht mehr, trifft dennoch ins Herz

Leute wie Billy Corgan fehlen schmerzlich. Keine Breitenwirkung mehr erzielen, aber auftreten wie ein Superstar

Wenn die Smashing Pumpkins eine Tournee „The World is a Vampire“ benennen, ist das so, wie „Musikexpress“-Kollege Stephan Rehm zu Recht sagt, als würden Blur ihre Tournee „Whoohoo“ benennen: suhlen im Glanz vergangener Tage und des einstigen Mega-Hits. Weil das neue Material, das man eigentlich vorstellen möchte, es nicht mehr bringt.

Und natürlich stellen Billy Corgan und Band jenes Lied, aus dem die berühmte Zeile stammt, in den Mittelpunkt ihres Sets: „Bullet With Butterfly Wings“. Ein Hit von 1995. Damals befanden sich die Chicagoer auf dem Höhepunkt ihres Ruhms. Eine der bedeutendsten 1991er-Rock-Bands veröffentlicht das bedeutendste Doppelalbum der Neunziger, jenem Jahrzehnt, in dem Doppelalben nicht hip waren. Aber die Pumpkins konnten machen, was sie wollten. Nirvana erledigt, Pearl Jam mit sich selbst am Hadern, Sonic Youth wieder verschwunden in der Kunst.

Billy Corgan denkt noch immer groß, auch die Alben werden immer größer (im Sinne von: voluminöser), die Ankündigungen sind die größten. „Atum: A Rock Opera in Three Acts“ ist das aktuelle Werk betitelt, eine Dreier-LP, von der Corgan sich wünscht, es würde „Mellon Collie and the Infinite Sadness“ von 1995 beerben. In Wirklichkeit ist es ein quietschendes Synthi-Rock-Album mit unangenehmen Collegegirl-Chören und einem Sänger, der sich immer mehr als der Kauz aus Brian De Palmas „Phantom of the Paradise“ inszeniert. Ein Song wie „Spellbinding“, auch live dargeboten, klingt wie Blink-182. „Empires“ klingt wie Anne Clarkes „Our Darkness“, aber vielleicht hat Corgan das auch bei Rammstein abgehört, die in „Deutschland“ wie Anne Clark klingen. „Atum“ kletterte bis auf Platz 111 in den „Billboard“-Charts.

Mit der Buchung der Berliner Wuhlheide haben die Pumpkins sich, sollte man befürchten, mit Ansage übernommen – vor 17.000 Zuschauern wären sie in der Stadt noch nie aufgetreten. Vielleicht noch nirgendwo in Europa, abgesehen von Festival-Auftritten. Aber der Ort ist tatsächlich ausverkauft. Für Hannover und Mönchengladbach verschickte Eventim kurz vor knapp noch Mails mit dem Angebot „bis zu 30% reduzierte Tickets!“. Gitarrist James Iha gibt sich bescheiden. Der Termin schob sich elegant zwischen Euro-Spieldaten. „If Germany would be playing tonight, who knows …“.

Keine Breitenwirkung mehr erzielen, sich aber immer höhere Ziele stecken

Andererseits: Es ist nicht das Unsympathischste, wenn ein egomanischer Bandleader denkt, er macht alles richtig, nur die Welt hält nicht Schritt. Und das denkt Corgan wirklich. Oper ist das Größte, Rock ist Oper, sein Rock ist Oper, also ist seine Musik das Allergrößte. Solche Leute fehlen heutzutage im Geschäft. Keine Breitenwirkung mehr erzielen, aber sich immer höhere Ziele stecken.

Als er einmal ein richtig ernstes Balladen-Solo-Album aufnahm, „Cotillions“, nannte er sich nicht Billy Corgan, sondern William Patrick Corgan. Geburtsname. Gravitas. Da haben die Leute gelacht. Die Platte war ein Flop. Er nannte sich fortan wieder Billy. Da haben die Leute erst Recht gelacht. War ihm egal. Macht einfach weiter. Im Jahr 2007 sang er „It’s Lonely At The Top“, da war er schon lange kein Star mehr. Dieses Selbstbewusstsein ist spektakulär. Man kann das nur haben, wenn man alles schon durchgemacht hat – von oben nach ganz unten. Vieles muss Billy Corgan mittlerweile selbst anleiern, es gibt keine Plattenfirma mehr, die ihm wie einst Millionen bezuschusst. Und er veröffentlichte in den vergangenen fünf Jahren dennoch 61 Songs, B-Seiten nicht mitgerechnet.

Corgan ist auch körperlich ein Riese, fast zwei Meter hoch, mit einem seit bald 30 Jahren souverän präsentiertem Kahlkopf und stolzer Plauze. Im Laufe des Abends läuft seine schwarze Augenschminke Richtung Mundwinkel, im Gesamteindruck mit dem weißen Schädel sieht Corgan irgendwann aus wie ein chinesisches Ei.

Die Smashing Pumpkins in ihrer 2024er-Ausgabe bilden eine kuriose Formation. Das am längsten am Stück tätige Bandmitglied, 16 Jahre, verließ die Band im vergangenen Jahr: Jeff Schroeder, der stets so unauffällig spielte, wie er hieß, und auf keinem einzigen Bandfoto zufrieden aussah, ein Kaspar mit hängenden Schultern. Seine Lücke füllt eine Gitarristin, Kiki Wong, die den Pumpkins jenen von Corgan heute so erstrebenswerten Emo-Touch verleiht – Gothic-Rock, Shock Rock, Alternative Metal. Die Pumpkins waren schließlich schon mal mit Marilyn Manson auf Konzertreise. Wong spielt durchgängig auf einer Flying-V.

Ein richtig guter Schweinerock-Satz

Es gilt jedoch auch mit Kiki Wong, was schon seit James Ihas Rückkehr 2018 gilt: Drei Gitarren sind für die Pumpkins technisch nicht notwendig, aber zwei davon bieten ein gutes Backup, wenn der beste der drei, Corgan, erschöpft wird, oder auch Iha, wie bekannt, irgendwann im Laufe von zwei Stunden nicht mehr mitkommt. Corgan gibt halt ungern die Leadgitarre ab. Nur Schlagzeuger Jimmy Chamberlin hält seit jeher Tempo und Struktur.

Wenn nun ein Musiker seine Fans zum Mitklatschen animiert, dann ist man von einer Indie-Gruppe, die sich nur für sich selbst interessiert (das nannte man damals „Haltung“), zum Evergreen Act geworden. „We’re the Smashing Pumpkins, and we’re here ro rock!“, sagt James Iha. Ein richtig guter Schweinerock-Satz.

Corgan weiß, dass nahezu alle Zuschauer nur die Klassiker hören wollen, die die Pumpkins bis zum Jahr 2000 veröffentlicht haben. Und die bekommen sie auch: „Today“, „1979“, „Ava Adore“ („You’d be perfect just like me – WPC!“, rappt Corgan gut) „The Everlasting Gaze“. „Ich spiele bei dieser Tournee nur die Songs, auf die ich Lust habe“, sagte Corgan vor Tourbeginn. „Erwartet bloß keine Hits!“ Der Mann hat also Humor. Tatsächlich hat es bislang keine Tournee der Band gegeben, deren Setlist weniger flexibel war.

Dass Raritäten wie „Gossamer“ dabei sind, ist trotzdem gut. Die Ironie besteht darin, dass ihr vielleicht populärster Song „1979“ unsere Nostalgie bedient, die Sehnsucht nach der Jugend, Corgan selbst aber diesen 1995 erschienenen Song mittlerweile so abfeiert, als sei seit 1995 keine Zeit vergangen. 1995 for life.

Das eigens für die 2024-Tour einstudierte – und bislang bei allen Konzerten intonierte – Coverstück „Zoo Station“ ist eine Überraschung. Zwischen den Pumpkins und U2 gibt es lediglich eine einzige Übereinstimmung. Beide Bands produzierten im Jahr 1991 originäre Gitarrensounds (Butch Vig für die Pumpkins auf ihrem Debüt „Gish“, The Edge auf „Achtung Baby“). Bono sollte Corgan eigentlich zu uncool sein.

Wüsste Corgan doch nur, wie er live erstens den Drive von Edge kopieren könnte und zweitens, wäre er doch nur ein besserer Sänger, in diesem Fall so gut wie Bono. Kein Zufall, dass Corgan nur dann gelungene Coversongs bewerkstelligt, wenn er beim Singen nahezu flüstert („Landslide“, „Never Let Me Down Again“). Der New Wave von U2 in „Zoo Station“ wird hier zu einem psychedelischen Trommel-Jam des dauerwirbelnden Chamberlin. „Tonight, Tonight“ dagegen ertönt live in der besseren Version ohne Streicher.

„Zero“-Shirt-Silberdruck

Und „Cherub Rock“ bleibt auch nach mehr als 30 Jahren einer der besten Rock-Songs überhaupt. Das Intro ist unerreicht.

Schlussstück ist jedoch „Zero“, mit schick eingefügtem „Love Gun“-Outro. „Wanna go for a ride?“, lautet die beste Zeile in dem Song. Mein Gott, was dachte man damals, dass einem dabei die Welt zu Füßen liegt, auf ewig.

Und es gibt wenige Wörter auf der Welt (Zahlen sowieso), die häufiger benutzt werden als „Null“. Wer immer aber einen Menschen mit einem „Zero“-Shirt-Silberdruck sieht, weiß, dass dieser Mensch ein Pumpkins-Fan ist. Das gilt weiterhin, seit fast 30 Jahren. Und ist auch ein Vermächtnis, ein sehr großes sogar.

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