Die 100 besten Musiker aller Zeiten: Gram Parsons – Essay von Keith Richards
Sein Output war eigentlich minimal, aber seine Wirkung auf die Countrymusik war gewaltig
So wie ich meinen Blues kannte, kannte Gram Parsons die Countrymusik – jede Nuance, jeden großen Song, der je geschrieben wurde. Und ob die Musik nun aus Nashville oder Bakersfield oder Texas kam: Mit seiner Stimme und seinem Songwriting konnte er all diese Nuancen artikulieren. Und, nicht minder wichtig: Er war ein intelligenter Mensch und eine ehrliche Haut. Aus dem Holz sind die Leute geschnitzt, mit denen ich gerne zusammen bin. Und: Er liebte es, stoned zu sein. Was seinerzeit auch ein eindeutiger Pluspunkt war.
Ich traf ihn zum ersten Mal 1968, als die Byrds in London auftraten; ich glaube, es war in einem Club namens Blazes. Ich kannte die Band seit „Mr. Tambourine Man“; die Stones hatten damals einige Shows in Kalifornien mit ihnen gemeinsam bestritten. Aber als ich sie im Blazes zusammen mit Gram sah, hörte ich in der Musik eine radikale Veränderung. Ich ging backstage, und wir beide freundeten uns an. Dann kamen die Byrds wieder nach London, diesmal auf dem Weg nach Südafrika. Ich sagte: „Leute, da fährt man doch nicht hin!“ Es war die Zeit der Sanktionen und des Embargos. Und deshalb stieg er bei den Byrds aus – gleich an Ort und Stelle. Und da er nun mal kein Dach über dem Kopf hatte, zog er bei mir ein.
Als Songschreiber hatten wir die gleiche Vorgehensweise
Wir saßen endlose Stunden hinter dem Klavier und tauschten Ideen aus. Gram und ich liebten die Songs von Felice und Boudleaux Bryant, vor allem die Sachen, die sie für die Everly Brothers geschrieben hatten. Wir waren verrückt nach diesem melancholischen Einsamkeits-Scheiß; wir suchten immer nach dem finalen Tränendrüsen-Quetscher, der dein Herz so richtig schön in die Mangel nimmt.
Als Songschreiber hatten wir die gleiche Vorgehensweise: Wir hauten ein paar Akkorde raus, spielten damit rum und schauten uns an, wie weit wir damit kamen. Sich mit Papier und Kuli an den Tisch zu setzen und alles auszutüfteln, war nicht unser Ding. Andererseits haben wir durchaus malocht – härter als ich je gearbeitet hatte –, um den Sachen den nötigen Feinschliff zu geben.
Mick und Gram hatten nie den richtigen Draht – was nicht zuletzt daran lag, dass die Stammeszugehörigkeit bei den Stones großgeschrieben wurde. Gleichzeitig hörte sich Mick aber genau an, was Gram so spielte. Und manchmal, wenn wir bei den „Exile On Main Street“-Sessions auf die anderen Musiker warteten, saßen wir drei zusammen und zupften ein paar Hank-Williams-Songs. Gram hatte sie alle drauf – das größte Country-Repertoire, das man sich vorstellen konnte. Ihm fiel immer und überall ein Song ein.
Zu dem Zeitpunkt, als er starb, hatte er musikalisch richtig Tritt gefasst. Sein Output war eigentlich minimal, aber seine Wirkung auf die Countrymusik war gewaltig. Wir werden nie erfahren, welchen Einfluss er unter anderen Umständen gehabt hätte. Wenn Buddy Holly nicht in dieses Flugzeug gestiegen wäre, wenn Eddie Cochran eine andere Kurve genommen hätte – unvorstellbar, was uns dadurch alles entgangen ist.