Herbert Grönemeyers Berlin-Heimspiel: Wie auf Pille in der Waldbühne

Die Jubliäumsfeier zu 40 Jahre „4630 Bochum“ wird zur Megaparty

Selten hat man Herbert Grönemeyer so aufgedreht und druff erlebt. Er jauchzt, kiekst, jubiliert und macht dem Publikum laufend dicke Komplimente. „Welch ein Feierabend! Mann, Mann, Mann…“ entfährt es ihm nach seinem Song „Musik nur, wenn sie laut ist“. Da ist die Sonne fast komplett hinter der Berliner Waldbühne verschwunden und eine warme, herzliche Heimspiel-Stimmung macht ich breit.

Schon vorher hat er seinen langjährigen Wohnort Berlin erwähnt; und dabei die Jahre in London nonchalant vergessen. Das Kommunikationsziel dabei ist klar: Nähe erzeugen und gute Gefühle. Wir alle feiern hier ’ne ausgedehnte Party. Einfach nur „Wahnsinn“.

Schon im ersten Themenblock mit Songs wie „Das ist los“ oder „Kopf hoch, Tanzen“ wirbelt Grönemeyer im schwarzen Gehrock, Cargo-Hosen und weißen Nike-Turnschuhen über den Bühnen-Runway hinein ins Publikum. Wie immer etwas umgelenk tanzend, aber das bei seinem 21. Waldbühnen-Gastspiel um so heftiger.

Band darf ausgiebig rocken

Den so oft gespielten Stücken hat er musikalischen Freiraum erlaubt. Seine Band darf ausgiebig rocken, ob Gitarren-Soli, Saxpophon-Kaskaden oder das emblematische „Mensch“ und einer dubbigen TripHop-Version umsetzen. Der selbsternannte „Adrenalin-Junkie“ setzt erst nach einer ganzen Weile einen Kontrapunkt, in dem ein Piano aus dem Bühnenboden klappen lässt.

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Er spielt das nachdenkliche „Halt Mich“ und „Glück“ von 2008 und gibt den Balladen-Herbert. Hier wirkt er ernsthafter und näher bei sich. Denn ein richtiger Rocker ist er ja nicht. Wenn er es krachen lässt, dann mit ironischer Brechung. Arme rudernd, hüpfend wie ein Raver. Halt ein Mann der Wechselspiele. Schon bei „Was soll das“ hat das Klavier wieder Pause und es wird auf die Tube gedrückt. Zum Frage-Antwort-Spielchen mit den 22.000 Zuschauern skandiert er „Berlin, los sag was!?“

Ungezählte T-Shirts mit gekreuzten Bergmann-Hämmern im Publikum und eine goldene, aufblasbare „40“ (wie beim Betriebsjubiläum) ganz vorn an der Bühnenkante deuten auf das eigentliche Thema des Abends hin. Denn das Konzert findet nicht im Rahmen einer regulären Tour statt, die auf ein reguläres Album folgt. Nein, Herbert Grönemeyer ist auf der Straße nach Bochum, wo er ab Mittwoch (12. Mai) viermal hintereinander im Stadion an der Castroper Straße auftritt.

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Das 40 Jahre-Jubiläum seines 3-Millionen-Albums „4630 Bochum“ wird dort in der Stadt seiner Jugend gegeben. Die Wiederveröffentlichung im neuen Mastering und im Dialog mit jungen Künstlerinnen wie Céline, Jeremias oder Chapo102 und Bausa leuchtet bis dahin in Berlin von der Videowand. Nach den letzten „Mensch“-Zeilen gibt es nach „weil er lacht und weil er lebt“ eine Kunstpause.

Gefolgt von einem Kawumms mit Nebel, Industrie-Kulissen-Projektion und dem halligen Ausruf „Tief im Westen“. Im Medley mit dem „Steigerlied“ baut Grönemeyer „Bochum“ zur fulminanten Hymne auf, die noch unterstützt wird von eindrucksvollen schwarz-weiß-grauen Stadt- und Industrie-Projektionen.

„Flugzeuge im Bauch“ im Jazz-Modus

„Ihr wusstet bescheid, ihr habt es so gewollt!“ ruft er ins Mikrophon. „Wir spielen jetzt das ganze Album“, wenn auch in anderer Reihenfolge. Zu diversen Anekdoten und Witzen über den schleppenden Beginn seines 1984er-Durchbruchs gibt es „Für dich da“, das auch intern ungeliebte „Erwischt“ und natürlich Song-Ikonen wie „Flugzeuge im Bauch“ im Jazz-Modus oder „Männer“ in einer ultraschnellen Speed-Version.

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Grönemeyer nimmt sich die Freiheit sein altes Material gehörig aufzupumpen. Mal mit Standbass oder als Funk-Version wie bei „Fangfragen“. Seine Band, ergänzt um eine vierköpfige Bläsersektion, hat viel Arbeit investiert, um die Klassiker frisch zu halten. Als „Männer“ unter Riesen-Applaus in den Ruhrgebiets-Calypso „Mambo“ übergeht, wähnt man sich im Urlaub. Grönemeyers Song über eine verzwackte Parkplatz-Suche wird zum super entspannten, hüftschwingenden Rausschmeißer der „Bochum“-Sektion.

„Wahnsinn, Wahnsinn“, sagt Grönemeyer

Trotz der harten Waldbühnen-Bestimmungen bei den Schlusszeiten weiß das Publikum natürlich, dass das Finale noch nicht erreicht ist. Man singt tausendfach und textsicher „Zeit, dass sich was dreht“. Ein Gassenhauer, entstanden zur WM 2006, der nach „Kinder an die Macht“ und „Meine Lebensstrahlen“ dann wie eine nächtliche Explosion auch kommt. „Wahnsinn, Wahnsinn“, so Grönemeyer, der vorher noch Witze über seinen minimalistischen „Schulterwalzer“-Tanzstil gemacht hat.

Und als eigentlich gar nichts mehr geht, schlägt er noch einmal leise in die Tasten und spielt runter gedimmt und ohne Band das intime „Der Weg“.

Da ist er wieder: Der ruhige Grönemeyer, der heute einfach zu gut drauf ist, um den nachdenklichen Chansonnier lange durchhalten zu können …

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