Gigi D’Agostino, der Streisand-Effekt – und Platz 2 in den iTunes-Charts

War es falsch, ein „Oktoberfest-Verbot“ für „L’amour toujours“ auszusprechen?

Gigi D’Agostinos „L’amour toujours“ erschien am 08. Oktober 2001 in Deutschland, ist also fast 23 Jahre alt – und steht nun, am 27. Mai 2024, erstmals auf Platz 2 der deutschen Charts. Was bei Erstveröffentlichung 2001 laut GfK-Messung für einen respektablen dritten Platz reichte, war nun – zumindest in den iTunes-Charts, also Download-Charts – im so genannten „Small Mix“, der kürzeren Version, für eine noch bessere Positionierung gut.

Jeder, der seit ein paar Tagen die Nachrichten verfolgt hat, weiß auch, warum das Lied des italienischen DJs und Musikproduzenten Gigi D’Agostino wieder in aller Munde ist – bei einer Party im „Pony“ auf Kampen, Sylt, wurde eine hässliche Umbenennung intoniert, per Kamera aufgenommen und ins Netz gestellt: reiche Kids und junge Erwachsene, die zur Instrumentalversion des House-Songs die Worte „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ skandierten. Eine Welle der Empörung geht durchs Land. Begleitet von einer Streitfrage: Sind diese jungen Menschen einfach nur dumm oder tatsächlich rechtsradikal? Gleichzeitig sickert immer mehr ins Bewusstsein ein, dass „L’amour toujours“ bereits seit einiger Zeit von Rechten gekapert und bundesweit auf allen möglichen Festen gesungen wird. Das wird in gewissen Kreisen zur Tradition.

Keiner könnte je erfahren, wer „L’amour toujours“ nun zum Comeback in den Download-Charts verholfen hat: rechte Leute, „normale“ Leute oder gar überzeugte Antifaschisten – ein Download als Statement also gegen den Missbrauch dieses harmlosen Lieds, das die Menschenliebe feiert, genau das Gegenteil von dem, was die Partyblöker von Sylt ausgerufen haben? Die Download-Charts erfassen ja keine Daten über Gesinnung.

Wer behält demnach die Deutungshoheit über diese sieben Minuten Musik, zu denen sich Gigi D’Agostino eigentlich nie äußern wollte, allein deshalb nicht, weil sie eben als unpolitisch gedacht war?

Ist das Oktoberfest-Verbot eine gute Sache?

Viele Menschen im Netz sagen, das Oktoberfest-Verbot von „L’amour toujours“, beschlossen am heutigen Montag (27. Mai), ist falsch, weil man das Stück dadurch zu einer Art Geheimschatz der Rechtsradikalen mache. Wo immer es fortan öffentlich angestimmt wird, wäre es dann als ein Erkennungszeichen der Rechten auszumachen. Auch ohne Nazi-Text. Instrumentalversion reicht. Als „Maulkorb-Statement“. Andere argumentieren, dass man gerade deshalb „L’amour toujours“ auf dem Oktoberfest erlauben müsse. So rette man das eigentlich positiv konnotierte Lied für die richtig tickende Allgemeinheit, die sich daran weiter erfreuen soll.

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Sicher kein Zufall, dass ausgerechnet jetzt auf X wieder das Wort „Streisand“ trendet. Das verweist auf den „Streisand-Effekt“: der ungeschickte Versuch, eine unliebsame Information zu unterdrücken, mit dem man aber das Gegenteil erreicht. Die öffentliche Aufmerksamkeit wird auf ebendiese Information gelenkt und so ihre allgemeine Verbreitung gefördert. Ein „L’amour toujours“-Verbot hätte demnach das Comeback des 23 Jahre alten Evergreens herbeigeführt. Entstanden ist der – im Allgemeinen etwas hochgestochen als soziologisches Phänomen bezeichnete – Streisand-Effekt durch den gescheiterten Versuch Barbra Streisands, ihr teures neues Anwesen geheim zu halten. Erst durch ihre Klage wurde die Öffentlichkeit auf Fotos aufmerksam gemacht, die ihre Villa zeigen. Die Einordnung Gigi D’Agostinos in den Streisand-Effekt ist schräg, der Vergleich hinkt ein wenig. Die Sache mit der Umwandlung seines Schlagers ist ja längst publik.

„L’amour toujours“ wird nie wieder kein politisches Signal senden können

Ist das Oktoberfest-Verbot von „L’amour toujours“ richtig? Womöglich nicht. Dann spielen die Leute es eben woanders. Die Wiesn-Chefs befürchteten sicher einen Imageschaden. Unabhängig davon wäre jede Video-Aufnahme von „L’amour toujours“ singenden Bierzeltbesuchern diesmal, mindestens in diesem Jahr, im Netz gelandet – und untersucht worden, vielleicht auch von Lippenlesern. Singt da einer „Deutschland …“ laut, oder murmelt er das lautlos mit?

Wenn Sylt eines verdeutlicht hat, dann das: Es ist nicht einfach nur ein dummer Kiddie-Spaß, so etwas zu singen, egal, welche politische Gesinnung man hat. Mal sehen, wer „L’amour toujours“ nach den anstehenden Landtagswahlen auf Wahlpartys auflegen wird, dieses Jahr in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Man legt es auf, um zu feiern. Das Lied wird nie wieder kein politisches Signal senden können.

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