Saisonstart auf Ibiza: Beach Clubs, Yachtrock und Flower Power
Elektronische Tanzmusik regiert, doch die Vielfalt ist größer als je zuvor
Bis zu den Sommerferien dauert es noch ein paar Wochen. Doch in Ibiza läuft die Clubsaison bereits auf Hochtouren. DJs und Clubacts aus der ganzen Welt geben sich seit Anfang Mai die Klinke in die Hand. Bereits am Flughafen fällt der Wettstreit der großen Clubs ins Auge. Wo anderswo große Werbebanner an den Zubringerstraßen Softdrinks oder die neueste Hybrid-Automodelle annoncieren, wird man hier von David Guetta, Carl Craig oder Robin Schulz begrüßt. Die etablierten Venues gehen mit aufwendigen Produktionen ins Rennen, und das nicht nur an den Wochenenden. Clubkultur in Ibiza ist trotz der internationalen Konkurrenz, etwa in Griechenland oder Kroatien, immer noch der Goldstandard.
Am Beispiel des legendären Pacha kann man zudem beobachten, wie sich die Szene seit den „Balearic Beats“ der 1990er-Jahre immer weiter professionalisiert hat. Nach den Hippies kamen englische Raver in Chelsea- oder ManU-Trikots. Mittlerweile gehören auch die Yacht-Besitzer aus der schicken Marina Botafoc zum Stammpublikum. Mitte 2016 stellte Pacha-Gründer Ricardo Urgell die Marke mit den roten Kirschen im Logo mit allen Lizenzen, Gastronomie- und Hotelbetrieben zum Verkauf. Im Februar 2017 griff die New Yorker Investmentfirma Trilantic Capital Partners zu. Inzwischen hat die FIVE Holding des indischen Eigners Kabir Mulchandani das Paket für rund 300 Millionen Euro übernommen. Der Milliardär kennt den Club seit seinen Studententagen und will sich nicht ins Tagesgeschäft einmischen. „Ich habe das Pacha nicht gekauft, um es in ein Franchise-Unternehmen zu verwandeln. Wenn es überhaupt eine Expansion geben sollte, wird sie sehr vorsichtig, selektiv und respektvoll sein“, sagte er im Interview mit der Zeitung „Periodico de Ibiza“.
Das Stammpublikum kommt seit Jahren. Somit hat sich auch der Altersdurchschnitt nach oben geschoben. In einer Bar der Altstadt trägt ein Stone-Roses-Veteran mit Angler-Hütchen stolz sein T-Shirt mit den Flughafen-Codes „MAN“ und „IBZ“, das an die einstige Luftbrücke zwischen dem Norden Englands und den Clubs der weißen Insel erinnert. Hatte der DJ des Cafe Del Mar Jose Padilla die Insel einst als „britischen Flugzeugträger“ bezeichnet, so ist der Einfluss der UK-Musikszene seit dem Ende von Clubnächten wie „Manumission“ deutlich geschwunden.
Zwar stellten die Briten weiterhin das größte Gäste-Kontinent, doch das Geschehen hat sich internationalisiert. Die Sounds in Clubs wie Hi, Amnesia, DC 10, Ushuaia oder Club Chinois sind vielfältiger geworden. Wer nicht bis tief in die Nacht aufblieben will, startet entspannt in den Strandclubs. Das Destino etwa hat „Wet Cherry“ ins Leben gerufen, hier gibt es bereits nachmittags pumpende Beats und Yachtrock am Pool. Harter Techno aus Deutschland ist ebenso möglich wie der Italo-Mix von DJ Marco Carola. Star-DJs ziehen ihre Social-Media-Gefolgschaft an. Zwischen aufgebrezelt und Indie-Chic. Miniröcke und Cowboy-Stiefel, schwarze Muskeltshirts und Jeans. Einen wirklichen Dresscode gibt es nicht mehr.
Es ist ein Gewusel auf hohem Niveau. Und nicht jedes Clubkonzept wird zum Selbstläufer. In dieser komplexen Situation hat Bora Uzer eine große Aufgabe übernommen. Der türkische DJ und Musiker mit homebase in Miami soll die älteste Party-Reihe der Welt mit neuem Leben erfüllen. „Flower Power“ heißt das knallbunte Happening, das eng verbunden ist mit der Ibiza-Legende Pacha. Einst gegründet als Hippie-Cafe in Sitges, konnte der Club mit den Kirschen im Logo im letzten Jahr sein 50. Jubiläum auf der Balearen-Insel feiern. „Flower Power“ gehört zur DNA des Pacha. Einst hatte der queere Pop-Entwurf der Spätphase der Franco-Diktatur in Spanien getrotzt. Ein halbes Jahrhundert und dutzende DJ-Wechsel später gehört die freigeistige Sause weiterhin zu den charismatischsten Nächten der Sommersaison auf Ibiza.
Vor dem Pacha reiht sich eine lange Schlange vor der bunt geschmückten Eingangsfront, das sein neonbuntes „Flower Power“-Hippie-Design mit Peace-Zeichen und Blubberschrift bis heute erhalten hat. Einst baumelte in diesen Nächten eine übergroße Vinylscheibe von Eric Clapton unter der Decke, der Ende der Siebziger im verpeilten Zustand zusammen mit George Harrison sein Boot vor Ibiza gecrasht haben soll. Jetzt wabern Stoffbahnen und riesige Sonnenblumen durch den Raum, mit entsprechenden Raumkonzepten, die „Holi Ibiza“ „Army of Flowers“, „Cirocdelia“ und „Future of Freedom“ heißen.
Gegen Halb Zwei ist das Pacha gut gefüllt. Selbst in VIP-Zonen, wo es gegen entsprechendes Kleingeld eine extra Bewirtung an kleinen Tischen gibt, wird bereits euphorisch zu den House-Tracks von DJ Kiddy Smile aus Paris getanzt. Als Act ist an diesem Abend Sophie Ellis-Bextor eingeladen, die plötzlich in einem blau schimmernden Lametta-Kleid auf der kleinen Bühne steht. Ihre Klassiker wie „Murder on The Dancefloor“ oder „Crying at the Discotheque“ treffen genau die undogmatische Stimmung von „Flower Power“. Als sie den Abba-Klassiker „Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)“ anstimmt, gibt es kein Halten mehr. Die weitere Auswahl der Cameo-Auftritte später im Jahr folgt dieser Retro-Linie, etwa mit der Grande Dame Grace Jones oder Boy George und Roisin Murphy. Auch das sonstige Programm über den Sommer ist bewusst vielfältig gebucht, vom dänischen Electro-Spezialist Kölsch bis zu den House-Cracks Dixon oder Roger Sanchez.
„Ich bin in einen wunderschönen Garten gekommen und muss die Blumen dort nun gut weiter pflegen“, sagt Uzer über seine neue Rolle als zentraler DJ von „Flower Power“. Uzer hat eine Ausbildung am Konservatorium, spielt verschiedene Instrumente und singt. Manchmal steht er mit Gitarre hinter seinem Deck und rappt übers seinen Mix aus polyphonen Funk- oder Soul-Rhythmen. „Genres interessieren mich dabei nicht, die Leute sollen wirklich tanzen, und nicht den DJ mit dem Smartphone abscannen“. Noch 20 mal bis im Oktober 2024 wird Uzer gegen drei Uhr morgens übernehmen.
Die vielköpfige TänzerInnen-Meute in Fantasy-Kostümen wirbelt über die Podeste und Terrassen des 2.500er-Ladens auf der Landzunge gegenüber der historischen Altstadt von Ibiza. „Mit meinem Jazz-Background bin ich ein Niemand in der elektronischen Musikszene, das ist ein großer Vorteil für das Programm von ‚Flower Power‘. Ich kann offen sein, niemand erwartet etwas von mir“, sagt Uzer weiter.
Wie Avantgarde eine rauschende Ibiza-Nacht ebenso sein kann, zeigt sich in der nächsten Pacha-Nacht mit dem Berliner DJ- und Produzenten-Kollektiv Keinemusik. Ihr Gastspiel mit Ticketpreisen zwischen 50 und 120 Euro war innerhalb von zwei Stunden ausverkauft. Mit ihrem extrem relaxten Mix aus House, Afro- und Deephouse schaffen Adam Port, &Me und Rampa eine luftig-entspannte Atmosphäre, die sich im Laufe der Nacht wohltemperiert steigert. Die Tanzfläche ist gepackt voll. Arme gehen nach oben, es blitzt aus Dutzenden Smartphones. Sie sind Stammgäste auf der Insel, jeweils als Solokünstler spielen sie im Juni gleich dreimal im angesagten Montags-Club „Circoloco“ im DC 10. Ihr gemeinsamer Aufritt im Pacha ist ein Highlight, das erst um Punkt sieben Uhr endet.
Draußen schimmert bereits lila-orange der Morgen. Sie hätten gerne weitergemacht. Doch die Guardia Civil legt die neuen Alkohol- und Lärm-Bestimmungen streng aus. Auch auf Ibiza muss die Musik mal ein Ende finden. Zumindest bis zur nächsten Nacht.