John Grant

„The Art Of The Lie“ – Immer ein Ereignis

Bella Union/PIAS (VÖ: 14.6.)

Der Songwriter mit dem wunderbaren Bariton experimentiert hemmungslos.

Ein Schwippschwager des Sound­effekts, der die Auswahlfrage von „Wer wird Millionär?“ untermalt, eröffnet das sechste Studioalbum von John Grant. Was unterscheidet das Leben von einer Quizshow? Es gibt nicht immer eine eindeutige Lösung. Der amerikanische Singer-Songwriter, der seit über zehn Jahren in Reykjavík lebt, pflegt ohnehin die Doppelbödigkeit – er verbindet diesmal auf besondere Weise die private, persönliche Ebene mit der gesellschaftlich-politischen.

Die spöttische Referenz des Albumtitels „The Art Of The Lie“ zu Trumps selbsternannter Erfolgsbibel „The Art Of The Deal“ verwundert nicht: Bereits 2021 hatte Grant mit „The Only Baby“ einen Anti-Trump-Song veröffentlicht. Mit der lasziv grollenden Synth-­Goth-­Eskalation „Meek AF“ setzt er jetzt noch eins drauf. Um den scharfkantigen Kontrast zwischen dem Schönen und dem Hässlichen in ein adäquates, passgenaues Gewand zu kleiden, wurde Produzent Ivor ­Guest engagiert. Er hatte ­Grace Jones einst aus ihrem fast zwanzig Jahre währenden kreativen Winterschlaf geholt. „This is my ­voice/ My wea­pon of ­ choice“ waren ­Jones’ erste Worte auf dem gemeinsam produzierten „Hurricane“ (2008) gewesen.

Dieses Album ist kein Spazier­gang, aber gerade deswegen durchgängig ein Ereignis

Und tatsächlich würden diese Eröffnungszeilen auch zu Grants neuer Platte passen, denn bei aller musikalischen Exzentrik, die er sich seit „Pale Green Ghosts“ (2013) regelmäßig gönnt, ist es nach wie vor sein beeindruckender Bariton, der über allem thront. „All That School“ überrascht mit furiosem Future-­Funk und Kopfstimme, „Mar­bles“ verbindet Lost-­Place-­Gruselei mit Historienfilm-Opulenz, und „Father“ führt zurück ins konservativ-methodistische Elternhaus. Grant rekapituliert das beklemmende Gefühl seiner Adoleszenz – der Vocoder-Effekt wirkt zunächst fast verstörend, ergibt aber Sinn im Kontext roboterhaft unterdrückter Emotion.

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Auch „Daddy“ und das cineastische „Mo­ther And Son“, ein Duett mit der schottischen Sängerin Rachel Sermanni, unternehmen eine gefühls­archäo­logische Expedition. „The ­Child Cat­cher“ ragt elegisch-erhaben heraus und erinnert an Grants grandiose Interpretation von Tim Buck­leys „Song To The Siren“, damals noch mit seiner Band The Czars. Dieses Album ist kein Spazier­gang, aber gerade deswegen durchgängig ein Ereignis.