Zum Tod von Paul Auster: Berichte aus dem Inneren
ROLLING-STONE-Redakteur Arne Willander zum Tod des US-amerikanischen Schriftstellers Paul Auster.
Er war der berühmteste und prägendste amerikanische Schriftsteller der vergangenen 40 Jahre. Nun ist Paul Auster im Alter von 77 Jahren in New York, über das er immer wieder geschrieben hat, gestorben.
Als Paul Auster im Jahr 1982 sein erstes Buch, „Die Erfindung der Einsamkeit“, veröffentlichte, hatte er schon ein Leben gelebt. Auster war 35 Jahre alt. Er hatte Anglistik und Literaturwissenschaft studiert, er übersetzte in Paris aus dem Französischen, schrieb und verwarf Drehbücher und war Telefonist bei amerikanischen Zeitschriften. Dann lehrte er an der Columbia-Universität Englisch. Unter einem Pseudonym (seinen Vornamen) schrieb er einen Kriminalroman. 1979 starb sein Vater, der ihm ein kleines Vermögen vermachte; zwei Jahre später lernte er Siri Hustvedt kennen, seine spätere zweite Ehefrau, die eine renommierte Schriftstellerin wurde.
Paul Benjamin Auster wurde am 3. Februar 1947 als Sohn jüdisch-osteuropäischer Einwanderer in Newark, New Jersey, geboren, dem Geburtsort auch von Philip Roth, dem 15 Jahre älteren Bilderstürmer der Literatur. Auster war ein begeisterter Leser und schwärmte für Dostojewski; schon als Zwölfjähriger schrieb er Gedichte und Geschichten. Außerdem brillierte er in Baseball und Football. In den Sommerferien wurde er in Feriencamps im Norden des Staates New York geschickt. Seine Eltern Queenie Bogat (ein Name wie aus einem Paul-Auster-Roman) und Samuel ließen sich scheiden, als Auster im letzten High-School-Jahr war. Fortan lebte er mit seiner Schwester bei der Mutter, bereiste Europa, nahm Ende der 60er-Jahre an den Studentenprotesten gegen den Vietnamkrieg teil, suchte in Irland die Spuren von James Joyce und lernte Anfang der 70er-Jahre Samuel Beckett in Paris kennen.
Als er seine ersten Romane schrieb, war Auster schon überfrachtet mit Literatur und Bildung. Die New-York-Trilogie, die von 1985 an in schneller Folge erschien, ist ein eklektisches Werk, das – wie viele spätere Werke Austers – seinen Anfang bei den Detektivgeschichten von Raymond Chandler und Dashiell Hammett nimmt und weit darüber hinausgeht: ins Surrealistische, in die Phantasmagorie. Erst 1989 erschien die Trilogie bei Rowohlt in deutscher Übersetzung, und es ist Literaturkritikern wie Ulrich Greiner zu danken, dass ihre Meisterschaft sofort erkannt wurde.
Paul Auster schrieb immer aus der Warte des Außenseiters. „Im Land der letzten Dinge“ ist eine elegische Dystopie – und womöglich eine frühe Autobiografie: Der Held, der am Ende aller Tage die Butter aufs Fensterbrett legt, nachdem der Strom ausfiel, ist vielleicht Paul Auster, der in Paris „von der Hand in den Mund“ (so der Titel einer späteren Essay-Sammlung) lebte. Auster war in den USA angesehen – in Europa aber wurde er bewundert. Als von „Postmoderne“ die Rede war, gehörte er mit „Musik des Zufalls“ und „Mr. Vertigo“ zu den Repräsentanten formal experimenteller Romane, die um Schicksal und Bewusstsein kreisten – und um das Schreiben selbst.
Doch Paul Auster war ein Geschichtenerzähler, und die schönste Geschichte ist „Auggie Wrens Weihnachtsgeschichte“, aus der er 1995 mit Wayne Wang den Film „Smoke“ machte. Auster lebte seit langer Zeit in Brooklyn, und „Smoke“ ist eine Erzählung über Brooklyn und zwei, drei, hundert Dinge, an die sich Auster aus seiner Kindheit erinnerte. Mit Harvey Keitel und William Hurt spielen zwei seiner Lieblingsschauspieler die Hauptrollen, und Tom Waits singt „Innocent When You Dream“.
Auster bezeichnete sich als langsamen Autor – aber sein Werk umfasst 16 Romane, dazu Erzählungen, Essays und Gedichte, und die Erinnerungen „Bericht aus dem Inneren“ und „Winterjournal“. Noch 2017 legte er mit „4321“ ein spätes Hauptwerk vor. Seit 2021 wusste Auster, dass er an Lungenkrebs erkrankt war. Im Jahr 2022 starb Daniel, sein Sohn aus erster Ehe, an einer Überdosis, nachdem er angeklagt wurde, weil er seiner Tochter angeblich Fentanyl verabreicht hatte. Siri Hustvedt erlitt einen schweren Autounfall.
„Baumgartner“, Austers letztes Werk, erschien im letzten Jahr. Er wusste, dass es sein letztes Buch sein würde.
Am 30. April starb der große amerikanische Schriftsteller Paul Auster in New York City.