Cold Years im Interview: Auf den Spuren von Green Day und Linkin Park
Das schottische Punkrockquartett Cold Years hat den romantischen Drang, den Konventionen zu entfliehen.
Es ist das Wesen der traumatischen Erfahrung, dass man sie erst mit etwas Abstand ansehen und hoffentlich integrieren kann. Davon singt Ross Gordon auf dem dritten Album seiner Punkrockband Cold Years gleich mehrere Lieder. Mit „A Different Life“ verarbeitet der Sänger und Gitarrist die Pandemie und die erzwungene Isolation, die ihn unter die Räder hatte kommen lassen. Gordon litt zu jener Zeit verstärkt an Angstzuständen und Insomnie, was seiner Psyche alles andere als zuträglich war. Zudem schien der gerade Realität gewordene Traum vom Musikerleben wieder geplatzt zu sein – Gordon und seine drei Kollegen mussten zurück in ihre Day Jobs.
All das konnte auf dem Vorgänger, „Goodbye To Misery“ (2022), noch nicht verarbeitet werden. Denn nach der Pandemie hatte das im schottischen Aberdeen gegründete Quartett ein übervolles Leben aus den besagten Jobs und dicht gebuchten Tourneen zu bewältigen – die verlorene Zeit sollte wettgemacht werden. Als dann die Aufnahmen zum neuen Album anstanden, war die Band ausgebrannt.
Doch Gordon und seine Kollegen glaubten an die Qualität ihres neuen Materials, und Produzent Brett Romnes (Hot Mulligan, Boston Manor) schuf in seinem Studio in New Jersey eine kreative Umgebung, in der sich plötzlich alles Bahn brach. Der Frust, die Überforderung, die eingesperrte Energie. Auf „A Different Life“ ist viele pointierte Kraft – Cold Years können brachial sein. Aber die Band beweist auch eine große Liebe zu sehr unterschiedlicher Musik. 80s-Pop, amerikanischer MOR, Doo Wop und manchmal eine Erinnerung an Band wie Linkin Park, alles ist drin in diesen Liedern.
Aber noch präsenter sind die Verweise auf Green Day oder Billy Talent; der Punkrock hat das letzte Wort. Auffallend sind die unverschämt hymnischen und mit einem klassischen Rockgefühl komponierten Refrains. „Ich möchte Musik schreiben, an die die Menschen sich erinnern, wenn sie abwaschen, mit ihrem Hund Gassi gehen oder in einer Kneipe sitzen“, sagt Gordon, „das sollen Lieder sein, die im Kopf kleben bleiben, bis sie fast nerven. Alle Bands, die die ich liebe, konnten solche ansteckenden Melodien schreiben, und mit diesem Album haben wir dasselbe versucht.“ Es gelingt zum Beispiel bei „Goodbye My Friend“, in dem Gordon von einer alten Freundschaft singt, die ein Leben lang hätte halten sollen, aber zu bröckeln beginnt. Die Person, über die Gordon singt, ist real. „Wir sind zusammen durch einige sehr dunkle Momente gegangen und waren füreinander da“, erzählt er, „aber es wird schwerer, eine Beziehung aufrecht zu halten, wenn man älter wird. Leute heiraten und kriegen Kinder. Für mich geht es in dem Lied um die Trauer darüber, jemanden zu verlieren, noch bevor man ihn wirklich verloren hat. Ich schätze, am Ende ist ein Song übers Sterben.“ In dem Lied steckt das große Thema von Cold Years – die Romantik der Jugend, die Sehnsucht nach einem anderen Leben, der Ausbruch aus Kleinstadt und Konvention.
Ein anderes Thema des Albums ist das der toxischen Beziehung. Insbesondere in dem superschnellen Opener „Over“ sagt sich jemand los von einem Menschen, der ihm nicht guttut. Gordon hatte sich von seiner Freundin getrennt; in dem Lied ruft er ihr wütend hinterher. Doch als er im Studio im letzten Moment einige Zeilen änderte, öffnete sich eine andere Perspektive. „Ich begriff, dass ich nicht nur einen Song darüber geschrieben hatte, wie ich mit jemand anderem Schluss mache – sondern darüber, wie ich mit einem Teil von mir selbst Schluss mache. Während der Pandemie ging es mir zusehends schlechter, bis schließlich eine Angststörung diagnostiziert worden. Jahrelang hatte ich diese Panikattacken gehabt, aber ich wusste nicht, was mit mir los war. Mir wurde klar, dass ich Hilfe brauchte, um weiterzukommen – einen Therapeuten, die passende Medizin. Ich begriff, dass ich mich in meinem Leben von bestimmten toxischen Personen lösen musste. Aber ich begriff auch, dass ich manchmal selbst diese toxische Person bin.“
Mit ihren Botschaften und ihren riesigen Refrains können Cold Years ein großes Publikum erreichen. Raus aus der Kleinstadt, hinein in ein anderes Leben.