Taylor Swift: „The Tortured Poets Department“ – die bessere Adele
Das gebrochene Herz, mit Nägeln beharkt, als Kunstform.
Echte, persönliche Gefühle in einem Milliarden-Business, in dem sich Taylor Swift nun einmal bewegt, wirken unweigerlich fabriziert. Kalkulierte Emotionen. Aufgemalte Tränen. Hollywood halt. Wenn Swift zwischen all ihren Wiederveröffentlichungen nun ihr eigenes, mehrfach gebrochenes Herz zum zentralen Thema ihres elften Albums macht, dann ist das in erster Linie eine Kunstform. Autofiktion. Nicht alles muss stimmen.
Es kann ambitionierten Swifties vorbehalten bleiben, inwieweit die (nicht bestätigte) Liebschaft mit Matty Healy von 1975 irgendwo aufblitzt und inwieweit die sich langsam hochschraubende Pop-Hymne „So Long London“ WIRKLICH eine Abrechnung mit ihrem verflossenen UK-Schauspieler Joe Alwyn ist. Zweitrangig für das Hören von Musik. Inspiriert von der Wirklichkeit halt. Sie singt darüber, dass sie deprimiert ist und nicht aus dem Bett kommt. Zum Trost verspeist sie Kindermüsli und weint im Fitnessstudio. „Had a good run / A moment of warm sun / But I’m not the one“. In seiner fast kirchlichen Aura dürfte der Song schon bald ein Abschiedsklassiker werden.
Dabei beginnt „The Tortured Poets Department“ mit „Fortnight“, dem Duett mit Rauschebart-Crooner Post Malone, noch vergleichsweise unverfänglich. Taylor will zwar jemanden „umbringen“, aber diese klassische Love-Hate-Single hat noch nichts von den melancholischen Kaskaden der restlichen Tracks, die wiederholt an die befreundete Melo-Queen Lana Del Rey erinnern. Möglicherweise liegt das am Wirken ihres gemeinsamen Produzenten Jack Antonoff, dem es wieder in Zusammenarbeit mit Aaron Dessner (The National) gelingt, Intimität im Stadionrock-Format zu erzeugen.
In ihrem Mega-Eintopf aus allen modernen Pop-Zutaten schlägt die Qualität des Songwritings weiterhin das Material der Kolleginnen aus der R’n’B-Champions League, wie Adele. Ihr Ringen mit Florence Welch in „Florida!!!“ (mit drei Ausrufezeichen), wo ein vermutlich böser Mann im Badezimmer mit einer Weinflasche erschlagen wird, ist mit seinen Tempowechseln und Ausbrüchen ganz große Arrangement-Kunst.
In den umfänglichen Reviews aus den USA und UK sagte jemand, dass es ein „wahres Kopfhörer-Album“ ist. Eines, das man am besten abgeschirmt erlebt, um die Traurigkeit und Verzweiflung in Swifts Stimme in sich aufzunehmen. Im tränenbefleckten Metier findet sie durchaus wieder zu sich selbst, wenn sie in der melancholischen Klavierballade „Loml“ das Gefühl eines Herzens vermittelt, das mit Nägeln beharkt wird. Taylor Swift hat sich eine Aufgabe gestellt und diese à la bonne heure gelöst. Herz-Schmerz im avancierten Deluxe-Format. Ein weiterer Move in der typischen Swift-Genialität, ihre offensichtliche Cleverness diesmal mit Katharsis zu verbinden. Wenn man so will, hat sie mit „The Tortured Poets Department“ Superstar-Kollegin Adele auf ihrem ureigenen Terrain überflügelt. Das trotzig Electro-Beats pumpende „I Can Do It With A Broken Heart“ ist sogar lustig. Zwischendurch eine Fingerübung, um sich dann wieder im Piano-Format den Männern zu widmen. (Universal Music)