Beth Gibbons

„Lives Outgrown“ – Schönstes Melodram

Domino (VÖ: 17.5.)

Das Meisterwerk der Portishead-Sängerin – nach mehr als einem Jahrzehnt Arbeit.

Sie nahm sich schon immer alle Zeit, die sie brauchte – geschadet hat es nie. Das letzte Portishead-Album ist 16 Jahre her, die Zusammenarbeit mit Rustin Man liegt sogar schon 22 Jahre zurück. Da bleibt Zeit für Unerwartetes, wie die enorm berührende Aufnahme der „Sinfonie der Klagelieder“ von Henryk Górecki. Zuletzt hörte man Beth Gibbons 2022 die markanten Zeilen „I wish I was some body/Anybody but myself“ singen, in „Mother I Sober“ von Kendrick Lamar.

Die Sängerin gilt als enorm schüchtern, gibt keine Interviews und steht auch nicht gern auf der Bühne. Doch nun verblüfft sie mit einem außergewöhnlichen Album. Mehr als ein
Jahrzehnt arbeitete Beth Gibbons mit dem ehemaligen Talk-Talk-Schlagzeuger Lee Harris an den Songs von „Lives Outgrown“, ihrem ersten echten Soloalbum überhaupt. Die Schwermut sich im Wind wiegender Weiden ist auch hier wieder allgegenwärtig. Auf einem Bett aus dramatischen Rhythmen wälzt sich Gibbons in unruhigen Träumen: „The loss of faith, filled with doubt. No relief can be found!“, klagt sie in „Beyond The Sun“, einem mit Arabesken geschmückten Klangpanorama, das sich filigran entfaltet.

Mehr bewegendes Melodram ist schwer vorstellbar

Fast alle Instrumente – und es gibt hier eine Menge davon – wurden ein gespielt von Lee Harris und James Ford, der nebenbei das neue Album der Pet Shop Boys produziert hat. Normales Schlagzeug ist kaum zu hören, stattdessen Tupperware, Pappkartons mit Erbsen gefüllte Dosen. Die Kick drum war eine mit Gardinen gefüllte Kiste. Abschiede von Familie und Freunden, auch das eigene Altern und die damit einhergehenden Veränderungen beschäftigen Gibbons. „Forever ends, you will grow old“, stellt die 59-Jährige in „Lost Changes“ fest, und es klingt wie eine liebevoll tröstende Umarmung. Ein zartes Pfeifen über aufbrandendem Orchester, dazu diese immer besser werdende Stimme – mehr bewegendes Melodram ist schwer vorstellbar.

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Das von weichen Paukenschlägen und Chören getriebene „Re wind“ zeigt, dass auch die Klima-Katastrophe Gibbons’ Stimmung nicht verbessert: „Gone too far. Too far to rewind.“ Dennoch: Selten klang das Gewicht der Welt, die Last des Lebens so schmerzhaft schön, so grandios berührend. Zehn Songs in zehn Jahren, und jeder stimmt bis ins kleinste Detail. „Lives Outgrown“ ist Beth Gibbons’ Meisterwerk.