Nico
„Desertshore“
Domino (VÖ: 29.3.)
Zwei Meisterwerke der enigmatischen Künstlerin
Ähnlich wie Yoko Ono, Throbbing Gristle oder die Wildecker Herzbuben ist auch Nico eine Frage des persönlichen Geschmacks. Vielen ist ihre Musik zu sperrig, der Gesang zu harsch und sie selbst zu deutsch. Ihr germanisches Äußeres entzückte Andy Warhol allerdings so sehr, dass er sie als Frontfrau bei Velvet Underground durchdrückte. Auf dem ersten, von Tom Wilson produzierten Soloalbum entsprach das Ex-Model noch ganz dem Klischee des blonden Factory-Superstars, mit den Ex-Velvet-Kollegen als Begleitband. Sie selbst war mit „Chelsea Girl“ jedoch höchst unzufrieden: „I asked for simplicity, and they covered it in flutes!“
„Desertshore“ gilt als das Meisterwerk der Sängerin
1968, ein Jahr später, kehrte die Sängerin mit „The Marble Index“ (4 Sterne) zurück, einem Album voller eisiger Kälte und Schönheit. „Religiöse Musik für Nihilisten“, schrieb Simon Reynolds später. Jim Morrison hatte Nico dazu geraten, ihre eigenen Songs zu schreiben, schwermütige, gotische Paläste, die sie nun mit Harmonium zum Klingen brachte. Allein John Cale stand ihr als Produzent, Arrangeur und Musiker zur Seite, mit ausgesprochen strengem Spiel an Viola und Piano – zwischen Pop und zeitgenössischer Klassik: „Mid night winds are lan ing at the end of time“, heißt es in „Evening Of Light“. Leichte Kost ist „The Marble Index“ nicht, die Vinyl-Version der Wiederveröffentlichung enthält dafür eine 7-Inch mit den ergreifenden Songs „Roses In The Snow“ und „Nibelungen“.
Auch Nicos drittes Soloalbum war auf Vinyl lange Zeit nicht zu bekommen. „Desertshore“ gilt als das Meisterwerk der Sängerin. Die Musik von Nico und Cale wirkt hier zugänglicher und liedhafter. In „Mütterlein“ beklagt die Sängerin den Tod ihrer Mutter, in „The Falconer“ den versuchten Mord an Andy Warhol. Das berührende „My Only Child“ ist Ari Boulogne gewidmet, dem (2023 verstorbenen) Sohn von Nico und Alain Delon, der in „Le petit chevalier“ mit Kinderstimme auch selbst singt. Ohne „The Marble Index“ und „Desertshore“ wäre weder das Gothic-Genre denkbar noch das Werk von Soap&Skin.