Nach Oscar-Gewinn: Warum Christopher Nolan es nun schwer haben wird
Wird 2026 der nächste Nolan erscheinen? Da sollte man sich nicht allzu sicher sein.
Endlich hat er ihn. Nein, gleich zwei. Bei der diesjährigen Oscar-Verleihung erhielt Christopher Nolan den Academy Award für den „Besten Film“ sowie für die „Beste Regie“; insgesamt sieben Preise gingen an das Biopic „Oppenheimer“ über den Chef des Trinity-Tests, der die Welt verändern würde. Es ist Nolans 13. Spielfilm. Verehrt aber wird er 54-jährige Brite schon seit seinem zweiten Werk, „Memento“ aus dem Jahr 2000. Wer „Memento“ sah, die Geschichte eines Rächers ohne Kurzzeitgedächtnis (Nic Pizzolatto hat das bestimmt), wusste, dass Nolan die Zukunft gehören würde.
Wie keinem zweiten (Hollywood-)Regisseur ist ihm seitdem mit jeder seiner Arbeiten eine Verbindung aus nahezu CGI-freier Action, Thriller und komplexem Plot gelungen, die so einzigartig ist, dass eine bemerkenswerte Dauersituation eingetreten ist: Es gibt niemanden, den Nolan hätte beeinflussen können, da keiner solche Filme dreht. Beziehungsweise drehen kann. Alle lieben ihn (bis auf David O. Russell, der ihn bei einer Party mal wütend in den Schwitzkasten nahm), aber keiner hat je für seine Arbeit – wohl zum Glück – das Attribut „wie ein Christopher-Nolan-Film“ verliehen bekommen können.
Wer eine vertrackte Story hat, sagen wir ähnlich wie Nolan in „Inception“, bekäme dazu nicht das Budget, um eine rotierende Kubrick-Scheibe in Originalgröße zu bauen. Wer genug Kohle hätte, sagen wir wie Michael Bay, der würde nicht auf die Idee kommen, einem Comic-Schurken wie dem Joker die Entmystifizierungsdiagnose Paranoide Schizophrenie zu erstellen, damit dessen Verbrechen nicht diabolisch-magisch, sondern krankheitsbedingt erscheinen. Realistisch. Selbst dem mit Nolan konkurrierenden Denis Villeneuve gelingt dieser „suspension of disbelief“ nicht immer, nicht mal in seinen gelungensten Sci-Fi-Filmen, „Arrival“ und „Blade Runner 2049“.
Apropos Kubrick: Nolans Vorbild hat nie einen Regie-Oscar erhalten, nur einen für die besten Spezialeffekte, 1969 für „2001: Odyssee im Weltraum“. Nolan wird früh gefürchtet haben, dass ihm, wenngleich er für seine eigenen Spezialeffekte nicht zuständig ist, ein ähnliches Schicksal widerfahren könnte. Was möglicherweise die Auswahl seiner Filme beeinflusst, nicht nur, weil deren Taktung sich verändert hat, er nur noch alle drei statt zwei Jahre einen Film herausbringt, er vorsichtiger wirkt.
Denn dass Nolan den Regie-Oscar unbedingt wollte, war klar. Trotz der „Batman“-Trilogie und „Interstellar“ ist er ein Schauspieler-Regisseur, kein Set-Piece-Regisseur. Matthew McConaughey war nie besser als unter ihm, obwohl er einen interstellar reisenden Raumfahrer spielte, Hugh Jackman nie besser als unter ihm, obwohl er einen Zauberer spielte, der sich unter Anleitung David Bowies vervielfältigen kann. Dass Nolan für seinen bis dato größten Erfolg „The Dark Knight“ von 2008 keine Regie-Nominierung, geschweige denn einen der Big-Five-Oscars gewinnen würde, war auch klar. Aber: Dank Nolan und dem „Dark Knight“-Snub werden seitdem nicht mehr nur fünf, sondern bis zu zehn Beiträge als „Bester Film“ nominiert. Um kluger Action eine Chance beim wichtigsten Filmpreis der Welt zu geben.
Es hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre etwas getan in Christopher Nolans Filmen, vielleicht aber nicht nur zum Guten. Sein offensivster Versuch eines Regie-Oscars war 2017 das Historiendrama „Dunkirk“ über die Evakuierung alliierter Soldaten aus Dünkirchen im Zweiten Weltkrieg. Alles sah gut aus, also nach Vintage, aber keiner verstand die in drei Zeitlinien (Wochen-genau, Tag-genau, Sekunden-genau) gesplittete Erzählung. So will man den Krieg nicht sehen. Nominierung für Nolan, aber keine Chance auf den Preis.
Dann warf er sich mit voller Leidenschaft in einen Oldschool-Nolan-Stoff, den Action-Thriller „Tenet“. Sein erster künstlerischer Misserfolg. Eine Art James-Bond-Streifen mit Schauplätzen auf der ganzen Welt, der sich aber irgendwie um Zeitumkehr drehte, die in Feuerpausen in langen Dialogen erklärt wurde, während Kenneth Branagh an seinen Akzenten aus dem Königreich der Fantasy arbeitete und versuchte, einen Oligarchen zu verkörpern.
„Oppenheimer“ macht vieles besser als „Dunkirk“ und „Tenet“. Er ist ein historischer Film mit lediglich zwei Zeitachsen, die durch einen Farbfilter getrennt werden. Verstanden. Nolan denkt sich außerdem nichts aus, und alles, was die klügsten Menschen der Welt, Oppenheimer, Bohr, Einstein und Teller, berichten, ist verständlich. Auch deshalb wird, da sollte man sich nichts vormachen, „Oppenheimer“ geliebt: Man versteht, worum es geht. Man hat Angst, als Edward Teller seine Angst äußert, mit Trinity könnte nicht nur das Testgebiet, sondern die Atmosphäre des gesamten Globus entzündet werden, eine Kettenreaktion, die die Vaporisierung des Planeten zur Folge hätte.
„Oppenheimer“ ist der beste „Beste Film“ der Oscars seit „Parasite“ von 2019. Aber was wird Christopher Nolan nun tun? Wieder zur Action zurückkehren – nach dem Flop von „Tenet“? Als erneuten Biopic-Regisseur kann man ihn sich schwer vorstellen. „Oppenheimer“ hat ihn nicht etwa gereizt, weil er das Leben eines Menschen akkurat nachzeichnen wollte. Ihn reizte die Darstellung eines der klügsten Menschen, die jemals gelebt haben, und dessen bahnbrechendes, gefährliches Verständnis von Naturwissenschaft.
Wie Batman hat J. Robert Oppenheimer die Welt verändert, wurde im Gegensatz natürlich zur fiktiven Comic-Figur und nach Ansicht vieler Historiker zur bedeutendsten Persönlichkeit, die es jemals gab. Das sind die Maßstäbe, die Nolan an seine (Anti-)Helden anlegt, damit er sie verfilmt: Sie müssen gebrochene (Anti-)Helden sein, so wie Oppenheimer, den die amerikanische Regierung nach 1945 vors Gericht stellen wollte.
Wird 2026 der nächste Nolan erscheinen? Da sollte man sich nicht allzu sicher sein. Erstmal gilt, dass ihm sein Mini-Comeback gelungen ist („Oppenheimer“ erhielt seine besten Kritiken seit „Inception“). Ob er sich nun weiteren historischen Persönlichkeiten widmet? Einen Film über das Leben von Jesus wird er nicht angehen, einen über Isaac Newton auch nicht.