Triumph bei den Grammys: Darum berührt uns Joni Mitchell so sehr
Eine Hommage an die große Sängerin von Stella Sommer und ROLLING-STONE-Redakteur Maik Brüggemeyer.
Bei den 66. Grammy Awards am Sonntagabend gewann Joni Mitchell für ihr Live-Comeback-Album „Joni Mitchell At Newport“ in der Kategorie „Best Folk Album“. Ihren ersten Grammy gewann sie vor 55 Jahren für ihr Album „Clouds“ in der Kategorie „Best Folk Performance“. Insgesamt hat sie in ihrer Karriere elf der seit 1959 jedes Jahr von der Recording Academy vergebenen Auszeichnungen erhalten.
Die neueste in dieser beeindruckenden Reihe ist aber eine ganz besondere, denn „Joni Mitchell At Newport“ dokumentiert ihre Rückkehr auf die Bühne nach einem Aneursyma im Jahr 2015 und ihr erstes Konzert seit 2000. Dieser Grammy ist die Würdigung einer Lebensleistung einer Künstlerin, der es in ihrer Karriere immer wieder gelang, sich zu befreien – von (meist männlichen) Zuschreibungen und Vorurteilen, aus Genregrenzen und schließlich aus den Beschränkungen des eigenen Körpers.
Zu diesem Anlass lesen Sie hier zwei Würdigungen eines einzigartigen Werks anlässlich von Mitchells 80. Geburtstag im November 2023.
Joni Mitchell: Schönheit des Abgrunds
Joni Mitchell wird also 80. Als ich gefragt wurde, ob ich zu diesem Anlass eine persönliche Würdigung schreiben möchte, musste ich kurz überlegen. Mein Verhältnis zu Joni Mitchell ist nämlich, passend zu ihrer Musik, ein etwas komplexeres. Ich bin eine große Bewunderin von Joni Mitchell. Ich bin jedoch kein Superfan. Warum das so ist, weiß ich eigentlich selbst nicht so genau. Es ist nicht so, als hätte ich über die Jahre nicht immer wieder versucht, mich ihr anzunähern, und viel über sie gelesen und ihre Musik gehört. Dennoch waren für mich als Songwriterin bisher andere Künstler:innen immer ein Stück prägender und haben mich mehr abgeholt. Ich weiß, dass das manchmal einfach daran liegt, dass man die richtigen Leute zur richtigen Zeit für sich entdecken muss.
Und da wären wir beim Stichwort: Zeit. Als die Anfrage vom ROLLING STONE kam, etwas über Joni Mitchell zu schreiben, hatte ich eine Woche sehr viel Zeit, weil ich sehr viel Bahn fahren musste. Ich dachte also, es wäre eine schöne Gelegenheit, mich in dieser Woche noch mal intensiver mit Joni Mitchell auseinanderzusetzen, während ich mit der Bahn durch Deutschland fahre.
So weit die Theorie. In der Praxis stellt sich mein Unterfangen natürlich um einiges komplizierter und weniger idyllisch dar als von mir erhofft. Entweder das WLAN funktioniert nicht oder ich finde mich aufgrund diverser Zugausfälle und Verspätungen in komplett überfüllten Zügen auf dem Boden sitzend im Gang bei den Toiletten wieder. Man könnte sich kein unglamouröseres Setting vorstellen, um sich mit Joni Mitchells Werk zu befassen. Aber nun gut. Zu bequem durfte es natürlich auch nicht sein. „I’m always running behind the time“, heißt es in einem Mitchell-Song. „Just like this train/ Shaking into town/ With the brakes complaining.“ Passt also alles irgendwie.
Hier ist, was ich weiß, sozusagen mein Ausgangspunkt: Joni Mitchell ist eine der größten, wenn nicht sogar die größte Songwriterin und Gitarristin unserer Zeit. Das ist unbestritten. Fakt. Sie ist auch eine große Sängerin. Da es jedoch auch heute noch sehr oft passiert, dass Songwriterinnen in erster Linie auf ihre Stimme reduziert werden, möchte ich ihre Stimme hier gar nicht weiter thematisieren.
Dass sie eine der größten Songwriterinnen ist, kann ich jedoch belegen: Selbst wenn man, so wie ich, eher nordisch unterkühlt unterwegs ist und in der richtigen Stimmung sein muss, um die Emotionalität mancher Mitchell-Originale auszuhalten, sprechen die unzähligen Coverversionen ihrer Lieder eine andere Sprache. Ihre Lieder sind universell einsetzbar und funktionieren auf so unterschiedliche Art und Weise, dass es verblüffend ist. Würde man mich drei Tage in einen fensterlosen Raum einsperren und mir ausschließlich Buffy Sainte-Maries Version von „The Circle Game“ vorspielen, würde ich mich keine Sekunde langweilen und mich bestens unterhalten fühlen. Was für eine Version, was für ein Lied!
Außerdem weiß ich, dass Joni Mitchell, wie jede große Künstlerin, verschiedene Phasen durchlaufen hat und eigentlich jede:r eine andere Joni Mitchell meint, wenn er oder sie von ihr redet. Meine Joni Mitchell ist die der ersten vier Alben. Man könnte sagen, ihrer folkigen Platten, wobei das mit den Genres bei Joni Mitchell so eine Sache ist.
Songwriter bewegen sich wie Fische im Ozean, die einander erkennen, wenn sie verwandt sind, weil man die Handschrift der gemeinsamen Vorbilder bzw. Einflüsse aneinander erkennt. Die meisten Folk-Songwriter orientieren sich an anderen Folk-Songwritern, oft wird noch in den angrenzenden Genres Country und Blues gewildert.
Joni Mitchell hat zwar auf ihren ersten Alben auch im weitesten Sinne „Folkmusik“ gemacht, ihre größten und prägendsten Einflüsse als Songwriterin kamen aber laut eigener Aussage aus dem Jazz. Das kann man bereits auf den frühen Alben an den komplexen Harmonien und Melodien erkennen, die sich teilweise sehr Folk-untypisch verhalten.
Joni Mitchell schwimmt also schon mal nicht in einem Schwarm, sondern allein. Und wenn man guckt, was Joni Mitchell sonst noch so macht, hat man eher das Gefühl, sie ist ihr eigener Ozean und nicht bloß ein kleiner Fisch darin. Sie ist ihr eigenes Genre.
Denn tatsächlich verhält es sich so, dass sie eigentlich „eine Malerin“ sei, die „die Prinzipien der Malerei aufs Songwriting angewendet“ habe, so Mitchell. Und damit bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob man die Maßstäbe, die für andere Songwriter gelten, überhaupt auf sie anwenden kann. Joni Mitchell arbeitete über die Jahre hinweg parallel zur Musik auch immer weiter als Malerin, aber ihre Bilder verkaufte sie nur in ganz seltenen Ausnahmefällen. Gezeigt werden die Werke auch fast nie, stattdessen hängen sie in ihren Häusern. Berühmt ist ihr Satz „I sing my sorrow and I paint my joy“. Wieso sollte man Freude auch verkaufen; wer weiß, ob man sie zurückkriegt.
Da ich die ersten Alben von ihr am besten kenne, widme ich mich zunächst den dreien, die sämtliche ausgecheckten Musikerfreunde von mir lieben und von denen sie schwören, es seien „die besten Alben, die jemals gemacht wurden“. Nämlich „Court And Spark“ (1974), „The Hissing Of Summer Lawns“ (1975) und „Hejira“ (1976). Ich habe mich vor diesen Alben immer gedrückt, weil ich ignoranterweise heimlich immer befürchte, dass Musik sofort in „Gemucke“ ausartet, sobald man die Tür zum Jazz öffnet. Spoiler: Das ist hier in einem vertretbaren Maße geschehen, es sind gute Alben und man kann sie sich anhören. Am faszinierendsten finde ich aber, dass es bei allen drei Alben geglückt ist, die Songs zu schützen. Man merkt sofort, dass es eben Songs sind, die von einer Songwriterin geschrieben und nicht aus Jams mit Jazzmusikern entstanden sind. So was hört man Liedern nämlich an. Die Songs von Joni Mitchell stehen unangetastet für sich. Egal wer auf welchen Alben welches Instrument spielt.
Außerdem fällt natürlich auch bei diesen Alben Joni Mitchells Gitarrenspiel auf. Sie ist nicht einfach nur gut. Sie ist sehr gut. Und originell. In ihrem Wikipedia-Artikel findet sich die Info, dass der US-ROLLING-STONE sie auf den 72. Rang der „besten Gitarristen aller Zeiten“ gewählt hat. In dieser Liste ist sie die höchstplatzierte Frau, was, nun ja, leider nicht überraschend, aber trotzdem fragwürdig ist. Man kann von diesen Listen halten, was man will, Joni Mitchell spielt vielleicht auch keine Gitarrensoli wie Jimi Hendrix und drängt sich natürlich sonst auch viel weniger in den Vordergrund mit ihrem Spiel als vermutlich die meisten in dieser Liste vertretenen Männer, weil sie die Gitarre eben als Begleitinstrument und nicht als Solo-Instrument einsetzt. Aber das, was sie da technisch und harmonisch quasi im Vorbeigehen abliefert, ist so komplex und einzigartig, dass sie meiner Meinung nach mindestens in die Top Ten dieser Liste gehört.
Und dann sind da natürlich noch die verschiedenen Gitarrenstimmungen. Auch ich habe früh mit den sogenannten Open Tunings bzw. Alternate Tunings angefangen. Bei Open Tunings stimmt man die Gitarre idealerweise so, dass man, wenn man keinen Finger auf die Saiten legt und alle Saiten anschlägt, einen Akkord hat (z. B. D‐Dur). Dadurch kann man sich selbst freier begleiten. Es hilft vor allem beim Songwriting, wenn man sich selbst überlisten will. Hat man schon fünfzehn Songs mit der immer gleichen Akkordfolge geschrieben, wird es irgendwann schwierig für das Gehirn, sich neue Melodien auszudenken, wenn die Hände immer das Gleiche greifen. Nicht weniger als 57 verschiedene Gitarrenstimmungen hat Joni Mitchell angeblich im Laufe ihrer Karriere benutzt. Ursprünglich war es allerdings nur eine Notlösung: Aufgrund einer Polio-Erkrankung als Kind verlor sie Kraft in der linken Hand und musste sich etwas überlegen, um trotzdem Gitarre spielen zu können.
Durch Open Tunings kann man auf erstaunliche Ideen kommen, und wenn man einmal damit angefangen hat, hört man damit meistens nicht so schnell freiwillig wieder auf. Das Ganze hat jedoch auch seine Tücken. Zum einen muss man sehr organisiert sein, wenn man verschiedene Stimmungen benutzt. Es gibt eine nicht geringe Anzahl von Liedern aus dem Die-Heiterkeit-Frühwerk, bei denen ich wirklich keinen blassen Schimmer mehr habe, wie man sie spielt, weil ich die verwendete Gitarrenstimmung auf irgendeinen Collegeblock gekritzelt habe und dieser Schlüssel zum Song nicht mehr auffindbar ist. Zum anderen hat man live ein großes Problem, wenn man nach jedem Song seine Gitarre komplett umstimmen muss, weil die Sache mit den verschiedenen Stimmungen ausgeartet ist (was sie fast immer tut).
Wenn man in einer Band wie Die Heiterkeit spielt, gewöhnt man es sich schnell ab, zu viele Songs mit verschiedenen Stimmungen live zu spielen. Wenn man eine große Band ist, hat man einen Gitarrentechniker dabei, der die verschiedenen Gitarren stimmt und sie einem dann anreicht, damit keine Pause entsteht. Und wenn man Joni Mitchell ist, die unangefochtene Königin der Open und Alternate Tunings, dann baut jemand dir eine Gitarre, die in Standardstimmung bleiben kann, aber an ein System angeschlossen ist, das die verschiedenen Stimmungen abgespeichert hat und das Signal der normal gestimmten Gitarre je nach Bedarf in die verschiedenen Tunings umwandeln kann, ohne dass man die Gitarre nach jedem Lied umstimmen muss. Genial.
Dann sind da natürlich auch noch Joni Mitchells Texte. Auffällig, gerade in der heutigen Zeit, ist die Abwesenheit von Zynismus. Selbst in ihren jungen Jahren scheint eine alte Weisheit in ihr zu stecken, die ihresgleichen sucht. Sie ist weit davon entfernt, moralisch zu werden oder Vorwürfe zu machen. Selbst ihre Break-up-Songs sind voller Zärtlichkeit, Größe, Würde und, ja, Poesie. Unvergessen die Notiz, mit der sie sich angeblich von Graham Nash trennte: „If you hold sand too tightly in your hand, it will run through your fingers.“ Woanders wäre das ein Refrain.
Es gibt Songwriter, bei denen man das Gefühl hat, dass man bei jedem Lied in einen vor einem klaffenden, tiefen Abgrund schaut. Bei Joni Mitchell hat man auf den ersten Blick das Gefühl, dass selbst die Abgründe mit Wolken ausgekleidet sind und sich wohlig weich anfühlen. Das sieht aber nur auf den ersten Blick so aus. Durch die Wolken sind die Abgründe noch gefährlicher, weil man nicht sieht, wo man hintritt. Und spätestens wenn man sich diesem Abgrund hingeben will, merkt man, dass Wolken keine Gewichtsträger sind und man einfach durch sie hindurchfällt. Und dass es sich bei dem Abgrund trotz aller Schönheit eben um einen Abgrund handelt.
Auf YouTube kann man ein Interview sehen, das Elton John mit Joni Mitchell in ihrem Wohnzimmer führt. Zum Abschluss sagt er über den Ort des Gesprächs: „Every corner of this room is Joni. Everything is Joni. It’s the most special room I’ve ever been in.“ Und so verhält es sich mit eigentlich allem im Joniversum. Jedes ihrer Bilder ist Joni. Jedes ihrer Alben ist Joni. Und jedes ihrer Lieder ist Joni. Bis in den letzten Ton, bis in die letzte Ecke. Die pure Essenz. Nicht verwässert. Komplett unverfälscht. Selbst wenn es an anderen Genres kratzt. Und das muss man erst mal schaffen.
STELLA SOMMER ist Sängerin, Songwriterin und Musikerin. Mit ihrem Projekt Die Heiterkeit hat sie seit 2010 vier Alben mit Songs auf Deutsch veröffentlicht. Auf ihren Soloalben – im vergangenen Jahr erschien das Doppel album „Silence Wore A Silver Coat“ – singt sie in englischer Sprache.
Court And Spark
ROLLING-STONE-Redakteur Maik Brüggermeyer in seinem Wohnzimmer-Newsletter über Joni Mitchell
Joni Mitchell ist in der vergangenen Woche 80 Jahre alt geworden. Die Songwriterin Stella Sommer hat einen sehr schönen und originellen Text dazu für unsere aktuelle Ausgabe geschrieben, aus dem auch hervorgeht, dass Mitchell es einem nicht so leicht macht wie andere Songwriter:innen, sie zu lieben oder sich gar mit ihr zu identifizieren. Tatsächlich hat sie ja viele Bewunder:innen – aber Nachahmer:innen wie beispielsweise Bob Dylan oder Neil Young sie etwa haben, gibt es eigentlich keine. Mitchell ist schon sehr einzigartig. Ein eigenes Genre, ja, ein eigener Ozean, wie Stella schreibt. Als ich ihren Text las, der entstand, während sie auf Reisen war, fiel mir wieder eine, wie ich vor fast 30 Jahren zu Joni Mitchell kam.
Die erste LP, die ich von ihr besaß, habe ich im Sommer 1995 erworben. Ich war nach dem Abi mit zwei Freunden in einem Bus der britischen Armee, der normalerweise Angehörige der in Münster stationierten Streitkräfte beförderte, für wenig Geld nach Schottland gereist. Es war nicht die schlaueste Idee, direkt bei der Ankunft in Glasgow in den Plattenladen zu gehen, denn ich musste meine Errungenschaften danach noch zwei Wochen durch die Highlands tragen. Und immer wenn ich die Regenjacke aus dem Rucksack zog oder in den Rucksack hineinstopfte und mein Blick dabei auf das durch die dünne weiße Plattenladenplastiktüte scheinende Cover meines ersten Joni-Mitchell-Albums fiel, habe ich mir ausgemalt, wie diese Musik wohl klingen würde. Ich kannte niemanden, der Joni Mitchell hörte, ihren Namen hatte ich nur mal in einer dieser Musikmagazinlisten mit den besten Platten aller Zeiten gelesen. Sie war eine Folksängerin, soviel glaubte ich zu wissen.
Ein Foto von ihr war nicht auf dem Cover. Nur eine kleine Zeichnung einer Welle mit Bergen im Hintergrund. War also vermutlich Hippiemusik über Kommunenleben auf dem Land oder so. Akustische Gitarren, vielleicht auch ein bisschen countryesk, blumige Liebeslieder, Naturlieder. Sowas. Endlich heimgekehrt, zog ich die Platte aus dem durch die lange, recht ungeschützte Reise ein bisschen verknickten und welligen Cover und legte sie auf den Plattenspieler meiner Großeltern, der nach dem Tod meines Opas nur noch von mir bedient wurde. Als die ersten Akkorde von „Court And Spark“ in die gute Stube drangen, war ich geschockt. Was war das denn? Jazz? Das war für mich damals ein Buch mit sieben Siegeln – ich hatte eine Dave-Brubeck-Best-of und ein Freund hatte mir mal das Köln-Konzert von Keith Jarrett vorgespielt. Naja.
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Joni Mitchells Stimme war allerdings interessant genug, um dran zu bleiben. Eine schöne Stimme, aber auch eine, die sich ständig veränderte. Die hell sein konnte und dunkel, leise, hauchend, fast durchscheinend und kräftig und stark. Und das alles innerhalb einer Strophe. Als würde mir jemand sehr lebhaft und eindrücklich eine Geschichte erzählen. Aber was für eine? Anscheinend ging es um einen Typen, der was von ihr wollte. Ein Musiker. Aber sie war sich nicht ganz sicher. Seiner Liebe oder ihrer selbst. Musikalisch wurde die Platte dann im weiteren Verlauf zugänglicher. Akustische und elektrische Gitarren setzten ein, betörende Harmonien – aber das war ganz sicher, entgegen meiner anfänglichen Vermutung, kein Folk, sicher auch kein Jazz, kein Rock und kein Country. Es ging viel um die Liebe, aber Liebeslieder waren das auch nicht. Andererseits – was wusste ich schon über die Liebe? Ich kannte sie – ähnlich wie Joni Mitchell – nur vom Hörensagen. Ihre jüngere Schwester Schwärmerei und ihr melancholischer Stiefbruder Kummer hatten mal von ihr erzählt. Die gingen nämlich bei mir ein und aus.
„Everything comes and goes/ Marked by lovers and styles of clothes“ waren dann – ich hatte die Platte schon einmal umgedreht – die ersten Zeilen, die wirklich bei mir hängenblieben, auch wenn ich seinerzeit schon seit Jahren ausschließlich schwarze T-Shirts, Cargo-Hosen und Rollkragenpullover trug.
Ich habe das Album in dieser Zeit oft aufgelegt, es wurde mir auf eine Art vertraut, aber nahe kam ich ihm nicht. Es zog mit mir von Wohnung zu Wohnung, von Stadt zu Stadt. Irgendwann entdeckte ich andere Joni-Mitchell-Platten, die mir leichter zugänglich schienen „Blue“, „Ladies Of The Canyon“, „Clouds“. An einem Abend im Winter 2007 saß ich in einer neuen Wohnung im Münchner Westend auf einer Isomatte, zog wahllos eine Platte aus einer der Umzugskisten, legte sie auf, und da kamen die vertrauten Jazzakkorde aus den Boxen, und Joni Mitchell sang: „Love came to my door with a sleeping roll and a madman’s soul.”
Ich schaute aus dem Fenster auf die dunkle Stadt und plötzlich verstand ich jedes Wort. Das Zweifeln, die Unsicherheit, die Sehnsucht nach dem Rausch des Verliebtseins und die Angst vor dem, was darauf folgte, die Frage nach dem eigenen Wert und den Wunsch nach Bestätigung.
Seitdem ist mir die Platte eine Freundin geworden, die mir immer wieder neue Geschichten erzählt über die Zeit, aus der sie stammt und die man die Zeit der sexuellen Befreiung nannte. Von selbstbewussten Männern, die sich nahmen, wen oder was sie brauchten, und von einer jungen Frau, die sich ihrer Rolle in diesem Spiel unsicher war, aber wusste, dass sie dabei auch viel verlieren konnte. „Everything comes and goes/ Marked by lovers and styles of clothes/ Things that you held high/ And told yourself were true/ Lost or changing as the days come down to you.“