Es wird Zeit, die Superhelden endlich wieder einzumotten
Jahrelang dominierten Marvel und DC das Blockbuster-Kino. Das Publikum ist zurecht übersättigt.
„Ferrari“-Regisseur Michael Mann hat recht: „Die Menschen sind müde von all den Superhelden-Filmen“. Ob sein Urteil stimmt, dass sie sich nun wieder nach Spannungsbilderbögen wie „Heat“ sehnen, bleibt erst einmal abzuwarten. Tatsache ist aber, dass die meisten Filme des Genres nicht mehr so viel Kasse versprechen wie noch vor einigen Jahren.
„The Marvels“ irritierte das Publikum, „Ant-Man And The Wasp: Quantumania“ entwickelte sich gar zum Flop. Offensichtlich wird die Rechnung anhand von „The Flash“, das als Hoffnungsträger für DC galt, für den man trotz Bauchschmerzen an Hauptdarsteller Ezra Miller festhielt. Der Film ist mehr oder minder ein Millionengrab. Produktionskosten und Werbeausgaben dürften sich auf bis zu 400 Millionen US-Dollar addieren, das Einspielergebnis bewegte sich gerade einmal in Richtung 300 Millionen US-Dollar. Dahinter steckt keinesfalls, dass DC im Vergleich zu Marvel weniger cool wäre und deshalb zum Box-Office-Misserfolg verdammt ist.
Zuschauer vermissen Originalität
All das ist ein Armutszeugnis und zugleich ein Alarmsignal. Seit Jahren pfiffen es die Spatzen bereits von den Dächern: Die Masse an konfektionierten Unterhaltungsfilmen über starke Menschen in Strampelanzügen, vollgeplustert mit Spezialeffekten und getragen von immer komplizierteren Story-Universen, die eigentlich nur noch Die-Hard-Fans verstehen, sorgen für einen Überdrusseffekt. Die Zuschauer sind satt. Sie vermissen die Originalität. Sie wollen nicht nur Fortsetzungen. Sie haben sich an den Schauspielern satt gesehen und erleben, dass selbst jene, die sich für viel Geld bereithalten, vor grünen Leinwänden irgendwelche am Computer erschaffene Bösewichte zu verprügeln, in anderen Filmen viel frischer wirken. Man denke etwa an „Black Widow“-Star Florence Pugh, über die man eben lieber in „Midsommar“ staunt, die selbst in zehn Minuten „Oppenheimer“ als Nebenrolle mehr Charme ausstrahlt, als das in einer lähmend durchkalkulierten Marvel-Produktion möglich ist. Es überrascht nicht, dass die originellste Superhelden-Nummer der letzten Jahre, „Spider-Man: Across The Spider-Verse“, ein Animationsfilm ist.
Superhelden, so erklärten es sich die Pop-Spezialisten, traten wie selbstverständlich auf den Kino-Plan, weil die Welt seit dem 11. September 2001 immer unsicherer geworden ist. Gut und Böse verschwimmen und Krisen und Kriege kommen nicht nur näher, sind längst da. Man wärmt sich an der moralischen Selbstsicherheit der Heroen, das Streaming-Geschäft half zudem, mit noch mehr Fortsetzungen und Serien den Ball im Spiel zu halten.
Doch die Studios haben sich verrechnet, sie sitzen nun in der Falle. Bis mindestens 2027 stehen zahlreiche Produktionen in den Startlöchern, Neuaufgüsse von bekannten Franchises inklusive. Ein Misserfolg nach dem nächsten könnte selbst die größten Medienunternehmen gefährden. Die Möglichkeiten, gigantische Margen zu machen, scheinen begrenzt, schon allein deshalb, weil die Superhelden-Filme vor allem aufgrund ihres Einsatzes auf der großen Leinwand Einnahmen versprachen.
Doch nach der Corona-Pandemie ist das Publikum nicht mehr zurückgekehrt. Oder wenn es kommt, erwartet es mehr von einem Kinobesuch. Etwa unverbrauchte Geschichten, eine faszinierende, von Serien nicht bereits angeschlagene Atmosphäre – und natürlich Bilder, die mehr bedeuten, als ein Trailer verspricht. Auch deshalb wurde Barbenheimer, also das Doppelpack aus Christopher Nolans „Oppenheimer“ und Greta Gerwigs „Barbie“, zum Hit und gleichzeitig zur Hoffnung für eine Renaissance des intelligenten, originären Kinos. Ist es möglich, dass man längst nur noch Filme für eine Generation macht, die mit Superhelden-Kino groß wurde und ihm sehr lange treu geblieben ist? Wollen jüngere und natürlich vor allem ältere Semester lieber etwas anderes sehen?
Superheldenfilme wurden viel zu wichtig genommen
Was die Superhelden-Filme einst zur Speerspitze der Blockbuster-Bewegung machte, war auch die Rückendeckung durch eine Bloggosphäre, die, angeheizt von den zahlungswilligen Produktionsfirmen, alles hochschrieb, was diese Gattung hergab. Mit „The Dark Knight“ und den „Avengers“ zog auch das bürgerliche Feuilleton mit. Die Faszination für die angeblich letzten großen Geschichten unserer Zeit, die zu Metaphern für brüchige gesellschaftliche Zustände erklärt wurden, blieb Jahre enthalten.
Nun ist Schluss damit. Mögen manche Regisseure alter Schule wie Martin Scorsese und Francis Ford Coppola mit ihrer kritischen Bestandsaufnahme des Genres wie verbitterte alte Menschen wirken, die nicht mit der Zeit gehen wollen und einem Spektakel anhängen, das in den 70ern und 80ern keine Aufmerksamkeitskonkurrenz durch das Internet hatte, bleibt doch die grundsätzliche Feststellung bestehen, dass Spider-Man, Batman und all die anderen als Comicfiguren über Jahrzehnte sicher eine gewisse Tiefe verpasst bekommen haben, letztlich für ein visuelles Erzählmedium, wie es das Kino ist, aber zu wenig Variationsbreite bieten. Es gibt deshalb auch einen auf der Hand liegenden Grund, warum manche Capeträger viele Zuschauern anlocken und andere eher weniger.
Viele der Recken, die auf der Leinwand glänzten, ob nun mit Superkräften ausgestattet oder mit Verstand (und viel Geld) beschenkt, sind Schöpfungen aus dem vergangenen Jahrhundert. Mit ihrer zentnerschweren Präsenz markierten sie auch eine nostalgische Erinnerung an eine längst vergangene Popkultur, die sich schlicht nicht bewähren musste und einstmals auch von der Erwachsenenwelt für ihre infantilen Reflexe belächelt worden war. Da hilft es auch nicht, sie nun diverser aufzustellen. Inzwischen ist die Pubertät eine ewig ausgedehnte Wunschmaschine. Das Ablaufdatum der Supergheldenfilm-Schwemme mag so auch psychologisch zu erklären sein. Mit den Herausforderungen einer Welt, in der die Probleme umfassender werden und Eskapismus keine einfache Lösung mehr ist, erscheinen die Superhelden mehr und mehr wie Projektionen aus dem Kinderreich, die bezogen auf die mosaikartige Realität verblassen.
Vielleicht braucht es so neue Superhelden, mit anderen Fähigkeiten, mit einer (magischen) Biographie, die auch zu unserer Zeit passt. Überlassen wir doch erst einmal den Comics, sie zu gebären.