Birgit Fuß fragt sich durch: Wie weit darf ein Songwriter im Namen der Wahrhaftigkeit gehen?

In seinen Songs war Randy Newman überall unterwegs, und er schonte niemanden. Ein Gruß zum 80. Geburtstag

Schon die Art, wie Randy Newman das Klavier anschlägt, kann einen zum Weinen bringen. Zum Beispiel gleich auf seinem ersten Album, 1968, bei „I Think It’s Going To Rain Today“. Eigentlich ist er kein Sänger, aber genau dadurch treffen einen die Worte wie besonders spitze Pfeile – als würde er sie einem direkt an den Kopf werfen.

Am 28. November wird Randall Stuart Newman 80 Jahre alt, und deshalb darf es hier noch einmal gesagt werden: Es wird wohl keinen Songwriter wie ihn mehr geben – so klug, so lustig. Es gab auch nie einen wie ihn. „I miss you/ I’m sorry but I do“, sang Randy Newman einst für seine Ex-Frau, während er längst mit einer anderen verheiratet war. Und ich vermisse ihn schon jetzt, obwohl er ja noch lebt.

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Seine geplan- ten Konzerte musste er zuletzt immer wieder absagen – erst wegen der Pandemie, dann weil er sich den Hals gebrochen hatte. Kein Witz! Doch er machte natürlich einen darüber: „Ich dachte schon, ich schrumpfe, vielleicht als Rache für ‚Short People‘“, schrieb er zur Erklärung, und dass die OP erfolgreich gewesen sei: „Ich sehe jetzt weniger wie ein Ameisenbär und mehr wie ein Folkrock-Künstler aus den frühen 60er-Jahren aus.“ Reisen kann er vorerst nicht.

Scharfer Beobachter

In seinen Songs war Randy Newman überall unterwegs, und er schonte niemanden. Sich selbst nicht, aber auch keine anderen. Nur ein paar Beispiele, bei denen er der Welt einen gnadenlosen Spiegel vorgehalten hat: In „Political Science“ wollte er die gesamte Welt wegbomben, weil sie Amerika nicht mag („We’ll save Australia/ Don’t want to hurt no kangaroo“). Auf demselben Album, „Sail Away“ (1972), wurde es in „Last Night I Had A Dream“ noch gemeiner: „I saw a vampire/ I saw a ghost/ Everybody scared me but you scared me the most.“ Wer möchte so was über sich hören?

Die privateren Stücke übertreffen die politischen Satiren oft noch an Scharfsinn. Natürlich wird „Rednecks“ (1974) nie langweilig, aber erst die Wucht der Familienkatastrophe „A Wedding In Cherokee County“! Stücke wie (das etwas banale) „Short People“ (1977) müssten heute mit Warnhinweisen oder Zwinkersmileys versehen werden.

Vernachlässigt man „Korean Parents“ (2008) und „Putin“ (2017), dann waren die letzten großen Spöttereien auf „Bad Love“ (1999). „The Great Nations Of Europe“ und „The World Isn’t Fair“ fassen das 20. Jahrhundert ganz gut zusammen, „I’m Dead (But I Don’t Know It)“ seziert die Grausamkeit des Alterns. Doch das Härteste kommt in „My Country“. Da erzählt Newman von den erwachsenen Kindern, auf deren Besuch man sich freue und denen man zuhören soll. „And much as I love them/ I’m always kind of glad when they go away.“


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Darf man – selbst wenn es literarisch verfremdet ist – so ehrlich sein? Kann man allen Ernstes „I want you to hurt like I do“ singen? Randy Newman kann es, weil er sich die Menschen genau angesehen hat – und egal, was er uns erzählt, die Welt ist immer noch ein bisschen böser als seine krassesten Lieder.

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Vielleicht wird deshalb bei seinen Konzerten so viel gelacht: Wir ahnen, dass uns das Schlimmste noch bevorsteht. Aber heute wünschen wir dem großen Randy Newman nur das Beste – und noch ein paar Auftritte, bei denen er einige seiner wunderbaren Stücke spielen kann. „I’d sell my soul and your souls for a song …“

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