Nick Cave spricht über Trauer und kritisiert das Kübler-Ross-Modell
Ein Jahr nach der Veröffentlichung von „Faith, Hope and Carnage“ erzählt der Singer-Songwriter, wie sich sein Verständnis von Verlust nach einschneidenden Erfahrungen mit dem Tod geliebter Menschen verändert hat.
Es ist ein Jahr vergangen, seit Nick Caves Buch „Faith, Hope and Carnage“ erschien. Darin reflektiert der australische Sänger in mehreren Gesprächen mit dem Journalisten Seán O’Hagan über sein Verhältnis zu Trauer, Verlust und Glauben.
Seit dem tragischen Tod seines Sohnes Arthur vor acht Jahren geht Nick Cave offen mit seiner Trauer um. Über die „Red Hand Files“ geht er einen Dialog mit seinen Fans ein, um seine eigenen Gefühle besser zu verstehen. Der schwere Verlust führte auch zu einer einzigartigen Solo-Tour, bei welcher der Sänger lediglich an einem Piano sitzt und das Gespräch mit seinem Publikum sucht.
Auch in dem Buch „Faith, Hope and Carnage“ stellt der Tod seines Sohnes einen Leitfaden der Unterhaltungen dar, die er über zwei Jahre mit dem Journalisten Seán O’Hagan führte. Ebenso fließen der Verlust seiner Mutter und seiner ehemaligen Partnerin und Bad-Seeds-Pianistin Anita Lane ein. Ein weiterer seiner Söhne starb, kurz nachdem das Buch fertiggestellt war.
Ein Jahr nach der Veröffentlichung des Buches und zeitgleich mit der Herausgabe einer Paperback-Version erzählt Cave in einem Interview mit dem amerikanischen ROLLING STONE davon, wie sich sein Verständnis von Trauer verändert hat.
Nick Cave: Die Tragweite von Verlust sollte man niemals verharmlosen
So lehnt der Australier eines von Nietzsches viel zitierten Aphorismen ab. „Ich glaube nicht, dass Nietzsches Zitat ‚Was uns nicht umbringt, macht uns stärker‘ auch nur annähernd stimmt“, so Cave. „Es ist eine schlechte, wenig hilfreiche Information, die uns suggeriert, dass wir irgendwie schwach sind, wenn wir unserem Kummer nachgeben. Es fehlt an Mitgefühl. Ich habe erlebt, wie Menschen durch den unerbittlichen und überwältigenden Charakter ihrer Verluste in den Wahnsinn getrieben wurden. Es ist schrecklich, das mitzuerleben, aber völlig verständlich.“
Auch kritisiert der Sänger das bekannte „Kübler-Ross“-Modell, das versucht, Trauer systematisch zu ordnen. Ihm zufolge äußere sich Kummer als „ehrfurchtgebietend und gottgleich“. Es ginge nicht um Akzeptant, was passiert ist. Eher sei der Kummer eine „auslöschende Kraft“, die „eine Art Verwandlung des Seins“ erfordert.
„Die Erfahrung, meine beiden Söhne zu verlieren, war eine Neuordnung des eigenen Wesens“, sagt er. „Wenn wir Glück haben, hören wir schließlich auf, uns auf unsere eigenen Wunden zu konzentrieren und schauen auf die Wunden der Welt.“
Ebenso half sein Internetportal „The Red Hand Files“ dem Musiker, den Kummer als Teil der menschlichen Verfassung besser zu verstehen. So begreift der Musiker Menschen nun als „Geschöpfe des Verlustes“. „Es ist diese Gebrochenheit, die uns so schockierend menschlich macht, und obwohl wir leiden, haben wir immer noch die Fähigkeit, wunderbare Dinge zu tun und zu schaffen“, so Cave.
Trauer betrifft uns alle und ist ein gemeinsames Problem
Später fährt er fort: „Ich habe andere Menschen kennengelernt, die sich umgedreht haben und in der Lage waren, die Welt zu betrachten und zu verstehen, dass der Verlust ein gemeinsames Problem ist und dass wir alle gemeinsam darin stecken, und dass unsere Existenz verletzlich oder prekär ist. Dies ist ein gemeinsames Bindemittel. Wenn man das verstehen kann, trägt das sehr dazu bei, die absoluten Gefühle der Verzweiflung zu verringern, die man hat, wenn man jemanden verloren hat.“
Doch obwohl der Umgang mit Trauer in den letzten Jahren einen großen Teil seines Lebens ausgemacht hat, beschreibt sich der Musiker als überwiegend glücklichen Menschen. „Ich bin oft glücklich. Meistens, würde ich sagen“, teilt Cave. „Ich mache Musik! Das ist eine freudige Sache! Ich liebe meine Familie, meine Freunde, meine Frau. Ich spreche mit Menschen, führe Gespräche, habe Meinungsverschiedenheiten. Ich arbeite an meinen Keramiken, was auch eine Art von Freude ist. Im Moment bin ich kurz davor, in einen eiskalten Gebirgsfluss in den Blue Ridge Mountains von North Carolina zu springen. Freude!“