Wilco
„Cousin“ – Liebe auf der Flucht
DBPM (VÖ: 29.9.)
Produzentin Cate Le Bon führt Wilco in einen dunklen Art-Pop-Traum.
Langlebigkeit ist für eine Band nicht nur ein Segen: Irgendwann konkurriert sie mit ihrer eigenen Vergangenheit, zudem wird es schwieriger, Reibungen, Spannungen und Überraschungen zu erzeugen. Wilco spielen in der jetzigen Besetzung seit fast 20 Jahren zusammen und versuchen diese Sackgasse zu umgehen, indem sie für jedes Album einen anderen Ansatz wählen. Nach dem alte Stärken ausspielenden „Cruel Country“ arbeiteten sie erstmals seit „A Ghost Is Born“ (2004) wieder mit einer externen Produzentin: der Songwriterin Cate Le Bon. Eine inspirierte Wahl, denn der spleenig-unterkühlte Art-Pop der Waliserin ist weit genug von der Dad-Rock-Melancholie der letzten Wilco-Alben entfernt, korrespondiert aber durchaus mit den weirderen Momenten der Band.
Alles bewegt sich in Zeitlupe
So erinnert die Eröffnung von „Cousin“, „Infinite Surprise“ (damit ist der Tod gemeint), mit seiner Brüchigkeit, dem Einsatz von Synthesizern, den perkussiven Akzenten, Rückkopplungen und Funkstörungen an das Wilco-Meisterwerk „Yankee Hotel Foxtrot“ (2002). Die Sounds sind allerdings verwaschener, alles bewegt sich in Zeitlupe. Der Track scheint eher in einer (Alb-)Traumlandschaft zu spielen als in der amerikanischen Gegenwart – falls es da überhaupt noch einen Unterschied gibt. „I woke up this morning and I went back to bed/ Ten dead, ten dead, now there are ten dead“, singt Tweedy im nächsten Stück. „Turn on the radio/ This is what they said:/ Ten dead, ten dead, no more than ten dead.“ Seine Stimme klingt müde, die Band spielt im Halbschlaf geradezu floydesk.
„Cousin“ fällt nicht mit der Tür ins Haus, entfaltet seine Reize langsam und klingt mit jedem Hören beunruhigender. Gitarrensaiten, die wie ein Windspiel vor sich hin klingeln, werden von der Dunkelheit geschluckt („Sunlight Ends“), hinter einem pittoresken Folk-Riff braut sich ein Gewitter zusammen („A Bowl And A Pudding“), die Country-Grateful-Dead morphen sich zu Suicide, und aus Tweedy wird Travis Bickle: „Well, and I love the rain and how the rain can turn shit into a rose“ („Pittsburgh“). Als der letzte Song fröhlich heranshuffelt, glaubt man, alles könnte versöhnlich enden. „Our love is meant to be“, singt Tweedy in hymnischem Falsett – aber niemand hört ihm zu. Wenn die Liebe auf der Flucht ist, kann man auch die Hoffnung fahren lassen.